Gemischte Gefühle
rütteln. Hier waren alle übergeschnappt. Wenigstens zeitweise. Was wollte ich eigentlich noch hier?
Ich schaute mich nach einem Videophon um. Ich mußte Roussel Bescheid sagen.
„Freiheit von der Sklaverei! Freiheit von der Sklaverei!“
Mit diesem Schlachtruf kamen sie um die Ecke. Es waren Hunderte. Sie marschierten hinter einem Typ her, der sich wie Spartacus oder Kirk Douglas oder beides vorkam.
Bei denen hatte es wirklich völlig ausgehakt. Was sollte denn der Quatsch schon wieder? Sklaverei! Wer wurde denn hier unterdrückt? Aber wahrscheinlich hatten sie nur ein Motto für ihren Gaudi-Marsch gebraucht.
Einer, der mit einer Leier neben der Marschkolonne einhertänzelte, rief mir zu: „Komm doch mit!“
„Wohin?“
„Weiß ich nicht! Aber es ist ein Mordsspaß!“
Ich schaute in sein freundliches Oberstudienratsgesicht und fragte mich, was um Himmels willen in diese Leute gefahren war.
Und dann schossen aus einem unterirdischen Hangar unter dem Jupiter-Tempel zwei Einsatzfahrzeuge der Ferienpolizei heraus. Sie fackelten nicht lange.
Spartacus griff sich an die Brust, wo ihn der Betäubungspfeil getroffen hatte, und fiel der Länge nach hin. Granaten mit Tranquilizer-Gas explodierten auf dem Pflaster. Bläuliche Schwaden begannen zu wallen. Die ersten Leute kippten um.
Ich machte, daß ich wegkam.
„Da läuft einer!“
„Das ist einer von den Saboteuren!“
Eine Maschinenpistole ratterte los. Ich hechtete um eine Ecke. Aus den Augenwinkeln sah ich noch, wie in der Wand, an der ich gerade entlanggerannt war, in Schulterhöhe eine kerzengerade Reihe von Einschußlöchern entstand.
„Die sind wohl wahnsinnig“, keuchte ich und rannte, wie ich noch nie gerannt war. Die hätten mich glatt auf einen vagen Verdacht hin abgeknallt!
Ich warf mich durch eine schmale Tür, die ich sofort wieder hinter mir zuknallte. Zehn Minuten später wußte ich, daß sie meine Spur verloren hatten. Während dieser Wartezeit begriff ich auch, was mich so verdächtig gemacht hatte: Ich trug immer noch meine stilechte Twickenhamer Kluft – Tweedsakko, Breeches und Reitstiefel. Die ideale Aufmachung, um unter lauter Römern aufzufallen wie ein längsgestreiftes Känguruh.
Suchend tappte ich durch das leere Haus. Das Atrium lag ruhig im Mondschein unter dem rötlich flackernden Himmel. Aus der Ferne hörte man Sirenengeheul und das gelegentliche Knattern einer Maschinengewehrsalve. Die erotischen Darstellungen an den Wänden streifte ich nur mit einem Blick. Surrealistisch angehauchte Szenen geheimnisvoller Rituale, durchzogen von merkwürdig emotionslosen Sadismen. Die Angst- und Todesschreie, die in den Straßen widerhallten, schienen die wächsernen Bilder auf traumhafte Weise zu kommentieren.
Pompeji 1996.
In einer kleinen Kammer hinter dem Peristyl fand ich das Videophon. Ich schob meine Code-Karte rein und tippte Roussels Nummer ein. Nichts geschah. Die Leitung blieb tot.
Ich fluchte ausdauernd. Dann durchstöberte ich das ganze Haus nach einem funktionierenden Kommunikationsmedium. Aber ich fand nichts außer einem Videogerät mit einer gewaltigen Leinwand. Auf der Cassette war ein Hardcore-Pomo mit obskuren mystischen Orgien.
Ein wackerer Filmheld hätte jetzt sein Kinn kantig vorgestreckt, wäre rausgegangen und HÄTTE ES DEN SCHUFTEN MAL SO RICHTIG GEZEIGT. Aber ich hatte einen Riesenbammel, daß die mich einfach abknallen würden. Oh nein. Schließlich war ich hier nicht als jugendlicher Held engagiert.
Unter diesen Umständen tat ich das Vernünftigste, was ich tun konnte. Ich haute mich in eine Ecke und versuchte, eine Mütze voll Schlaf zu kriegen.
Berichte, Analysen, Meinungen.
Als ich wieder wach wurde, war es schon hell. Ich hatte einen Geschmack im Mund, als hätte ich an einer Müllhalde genascht. Mein Schädel brummte, und ich kam mir wie eine Witzfigur vor.
„Touristik-Manager verschläft Urlauber-Aufruhr“, brummelte ich vor mich hin, als ich zum Videophon schlurfte. Wieder tippte ich Roussels Nummer ein.
Er erschien auf dem Bildschirm, als hätte er nur auf den Anruf gewartet. Er sah aus wie ein ausgemusterter Engel, der zu oft unter den himmlischen Brücken schlafen mußte.
„Was ist los?“
„Rossi hier“, sagte ich überflüssigerweise und bemühte mich krampfhaft, wach auszusehen.
„Das sehe ich. Wo haben Sie gesteckt?“
„Rom.“
„Und?“ Er sprang fast in das Aufnahmeobjektiv. „Unsere Leitung steht erst seit zwei Minuten wieder. Wie sieht’s da
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