Gemischte Gefühle
Rauschen in ihren Ohren, das sie sich nicht erklären kann. Sie will den Mund öffnen, um etwas zu sagen, hört, wie Gerber etwas von einem ultimativen Schachzug mu r melt und sich die Krawatte vom Hals reißt, und spürt, wie ein Sturmwind sie packt und mitsamt dem Sessel beiseite fegt. Ein Scherbenregen prasselt über sie hinweg. Sie sieht Gerbers Kopf bersten, hört Taplinger wie ein Tier aufschre i en und sieht dann, wie die Tür aus den Angeln fliegt und eine Druckwelle die Gäste in der Roten Halle durcheina n derwirbelt. Die Panoramascheibe zerspringt. Der heulende Sturmwind schiebt die Gäste wie eine Handvoll getrockn e ten Grases vor sich her und stößt sie in die Tiefe.
Erst dann hört Devra Fenriss das trommelfellzerreißende Donnern einer Explosion.
Hirschmann zuckte zusammen, als sich in seinem Kopf unerwartet eine weibliche Stimme meldete und ihm verkü n dete, es sei für ihn nun an der Zeit, den Styx zu überqueren. Er kam nicht dazu, sich darüber zu wundern, wieso sein Empfänger empfing, obwohl die Sendezeit längst beendet war, denn nur zwei Sekunden später breitete sich eine nie gekannte Helligkeit in seinem Gehirn aus, ließ ihn gegen den Kühlschrank taumeln und die Umwelt in Bergen aus Watte verschwinden.
Sein Herz machte plötzlich einen Sprung, die Knie knic k ten ihm ein, und er spürte nicht einmal mehr, daß er nun auf dem Boden lag und ziellos auf etwas zukroch, das er nie mehr erreichen sollte.
Christian wurde vom Geräusch einer rollenden Explosion geweckt. Er sprang aus dem Bett, öffnete das Fenster und entdeckte eine mehrere hundert Meter hohe Feuerlohe, die sich östlich des Wupperzentrums in den schwarzen Himmel hineinfraß und von Sekunde zu Sekunde größer wurde. Er hörte die aufgeregten Stimmen seiner Eltern im Schlafzi m mer, betätigte das Armbandsteuergerät und hoffte darauf, daß irgendeine Station eine Blitzmeldung über die Katastr o phe abgeben würde.
Nichts.
Der Empfänger gab nur ein magisches Summen von sich.
Christian fröstelte. Er schaute den Flammen zu, sah, wie sich auf den Straßen die Menschen versammelten, hörte ängstliche Schreie und Rufe und fragte sich, ob über den östlichen Hängen vielleicht ein Flugzeug abgestürzt sein mochte. Die Kälte trieb ihn eine halbe Stunde später wieder ins Bett zurück. Als er die Decke zum Kinn hinaufzog und sich vorstellte, wie er sich morgen im Arbeitsamt in die la n ge Schlange der Wartenden einreihen würde, kam ihm der sonderbare Gedanke, daß er von nun an dem Abenteuer des Lebens persönlich ins Auge schauen mußte.
Nachwort
Um die Situation der heutigen deutschsprachigen Science Fiction zu verstehen, ist zunächst ein Blick in die Verga n genheit nötig. Die deutsche Science Fiction – der Einfac h heit halber hier so bezeichnet, ohne im einzelnen aufz u schlüsseln, was „ utopisch “ , „ phantastisch “ , „ Zukunftsr o man “ bzw. Vorläufer des einen oder anderen war – verlor ihre Vielfalt in den dreißiger Jahren mit dem Faschismus. Zwar konnte 1935 noch ein literarisch bedeutsames Werk wie Paul Gurks Tuzub 37 erscheinen, aber die vielen Pflän z chen , die seit dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts e r blüht waren, verwelkten. Niemand knüpfte an Laßwitz oder Scheerbart oder Kellermann an – um drei sehr verschiede n artige Autoren zu nennen, die für verschiedene Richtungen stehen. Übrig blieb allein der technisch orientierte Zukunft s roman im Stile eines Hans Dominik, übrig blieben (anfangs) Heftserien wie Sun Koh oder Rah Norton. Es bleibt müßig zu fragen, ob sich ohne den Faschismus die Magazin-SF Gernsbackscher Prägung einen Markt in Deutschland e r obert hätte, denn angesichts der Ächtung alles Amerikan i schen konnte ein solcher Versuch gar nicht erst unterno m men werden.
Nach dem Kriege blieben, wie auf den meisten anderen Gebieten, nur Trümmerhaufen zurück. Für die deutsche SF bedeutete dies, daß Verlage zunächst einmal das nachdruc k ten, was sich im Dritten Reich gut verkauft hatte: Dominik und die Heftserien (letztere von allzu Drastischem gere i nigt). Das konnte nur ein Nachhall sein, es waren Zukunft s romane ohne Zukunft. Der wirkliche Neubeginn setzte dann einige Jahre später genau dort an, wo auch Gemsback mit seinen Magazinen begonnen hatte: auf dem Markt der bill i gen Unierhaltungsliteratur. Mit zwei wesentlichen Unte r schieden: Im Gegensatz zu Amerika, wo den dime novels des neunzehnten Jahrhunderts im zwanzigsten Jahrhundert
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