Gemordet wird immer
Was machst du gerade?«, insistierte sein Onkel.
Ich habe einen Mordfall gelöst, dachte Viktor und blieb stehen. Die Angst, auf engstem Raum zusammen mit einem Killerkid eingesperrt gewesen zu sein, wich langsam dem Hochgefühl, die Lösung in den Händen zu halten. Allerdings musste er sich noch einen Weg überlegen, seine Erkenntnisse der Polizei mitzuteilen, ohne sich selbst zu belasten. Sollte er einen anonymen Hinweis auf den Schlüssel geben? Oder lieber auf die Fingerabdrücke an der Beretta? Der Junge hatte doch keine Handschuhe getragen, nicht wahr? Seine Gedanken rasten. Er fühlte sich wie berauscht. Mit klopfendem Herzen schaute er zurück zum Haus der Bulhaupts. Im ersten Stock zog jemand die Vorhänge zurück. Ein Bettgalgen wurde sichtbar, und eine Hand, die sich nach dem daran hängenden Trapez streckte, aber von einer anderen Hand zurückgezogen wurde.
»Ich …«, begann Viktor, einen Moment fasziniert von dem morbiden Bild. »Ich bin unterwegs.«
14
Bei dem Haus, dessen Adresse ihm sein Onkel gegeben hatte, stand die Haustür weit offen. Laute Stimmen drangen bis auf den Gehsteig. Eine junge Frau kam heraus und schleppte, ohne Viktor eines Blickes zu würdigen, eine Kiste voll Geschirr zum Kofferraum ihres Autos. Drinnen schepperte es. »Wenn du glaubst …«, hörte Viktor eine Männerstimme donnern. Er beschloss, auf das Anklopfen zu verzichten.
Eine Frau zeterte: »Wer hat sich denn all die Jahre um sie gekümmert, während der liebe Sohn sich darauf beschränkt hat, beim jährlichen Besuch den Gönner zu spielen? Ich war doch diejenige, ich, die hier geputzt und gekocht und ihr den Arsch gewischt hat.«
»Dafür hast du dich auch reichlich an ihrem Konto bedient«, kam postwendend die Antwort. »Oder wo sind die Sparbriefe abgeblieben, die die Mama hatte?«
»Ja glaubst du denn, ich bleche das alles selber, all die Medikamente und die Spezialwindeln, weil die Dame sich ja zu fein war für das, was die Kasse bewilligt hat, für die Massagen und die Cremes? Ich sag dir, draufgezahlt hab ich, draufgezahlt.«
»Du wirst die Belege ja wohl noch haben.«
»Und die Pelzmäntel sind auch alle weg, sogar der Persianer«, mischte sich eine zweite Frauenstimme ein.
»Du kommst mir gerade recht. Hier einmal zum Geburtstag mit einer selbstgemachten Torte reinstiefeln, und dann einen Pelz wollen. Woher hast du überhaupt gewusst, was die Mutter im Schrank hat? Schnüfflerin, du! Aber du hast ja schon am Tag deiner Hochzeit die Kontobücher geprüft, was?«
»Als ob ich es nötig hätte! Ich …«
Viktor trat mit einem herzlichen »Grüß Gott miteinander« ein.
Vier Köpfe fuhren zu ihm herum. »Was wollen Sie denn?«, fragte der Mann, den er bereits gehört hatte, unwirsch.
»Anders und Anders«, sagte er. »Es geht um die Rede für Ihre Frau Mutter.«
»Darum kümmert sich meine Frau«, schnaubte der Mann. Er war kleiner, als Viktor erwartet hatte, mit tiefen Geheimratsecken und einem Wohlstandsbauch unter der Trainingsjacke. Offenbar hatte der Tod seiner Mutter ihn beim Joggen überrascht. Seine Frau trug dasselbe Markensportoutfit wie er, dazu eine Dauerwelle, die eher zu einem schicken Kostüm gepasst hätte.
»Aber ich weiß doch gar nicht …«, begann sie.
Ihr Mann schnitt ihr das Wort ab. »Das steht doch alles in den Papieren«, raunzte er und schob ihr eine Mappe zu.
Widerwillig ließ sie sich mit Viktor auf dem Sofa nieder. Gemeinsam suchten sie die wesentlichen Fakten aus den persönlichen Dokumenten der Toten heraus, Geburtsdatum, Familienstand, sämtliche Vornamen, Anzahl der Kinder. Dabei ließ die Frau keinen Moment die Gruppe ihrer Verwandten aus den Augen, die wieder zu streiten begonnen hatte.
»Was hat Ihre Frau Schwiegermutter denn so gemacht?«, versuchte Viktor ein Gespräch in Gang zu bringen.
»Mein Gott, nicht viel, sie war halt alt.«
»Ja, aber sie war doch nicht immer alt«, versuchte Viktor nachzuhelfen. »Vielleicht hatte sie ja mal einen Beruf.« Als er das Gesicht seiner Gesprächspartnerin sah, fügte er rasch hinzu: »Oder hat Ihr Mann nicht mal etwas aus seiner Kindheit erzählt. Irgendein schönes Erlebnis mit der Mama?«
»Hören Sie«, begann die Frau, konnte sich dann jedoch nicht länger zurückhalten. Sie sprang so schnell auf, dass die Vase auf dem Tisch gefährlich ins Wanken geriet. »Das sind doch alles Verleumdungen«, brüllte sie. »Die Mutter hat dem Martin das Geld geschenkt, ach was, aufgedrängt hat sie es ihm. Nimm, hat sie damals
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