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Gemordet wird immer

Gemordet wird immer

Titel: Gemordet wird immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Korber
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vollgestopft mit Kleidern. Mit der Energie des Verzweifelten wühlte Viktor sich zwischen all die Lodenmäntel und Funktionsjacken, schaffte es knapp, ein Niesen zu unterdrücken, und hielt von innen mit zitternden Fingern die immer wieder aufspringende Tür zu. Gerade als er sich sagte, dass es ihm nie gelingen würde, die Türflügel ruhig zu halten, ging das Licht wieder an. Unwillkürlich schloss Viktor die Augen. Als er sie wieder öffnete und durch den schmalen Spalt zwischen den Schranktüren blickte, sah er einen Jungen von etwa zwölf Jahren im Zimmer stehen. Er trug Nietenjeans und ein bedrucktes T-Shirt. Auf seinem Kopf saß eine Art Piratenkopftuch. Er kaute Kaugummi. Und in der Hand hielt er eine Pistole.

13
    »Hilde, ist Viktor bei dir?«
    Frau Anders sah vom Bügelbrett auf. »Tobi, nein, nicht die Schere.«
    Ihr Mann seufzte in sein Handy. »Was ist denn jetzt schon wieder?«
    »Ach, du weißt doch, wie sehr er Fotos liebt. Er versucht gerade, die Bilder aus dem Fernsehprogramm zu schneiden, dem aktuellen.«
    Wolfgang Anders enthielt sich jeden Kommentars. Er hatte genug um die Ohren. Vor ihm lag der Körper einer alten Frau, aus deren Mund sich gerade der übelriechende Inhalt ihres Magens ergoss, direkt auf die apricotfarbene Chiffonbluse, die er ihr überzuziehen versucht hatte. Er hätte es wissen müssen, als er die Medikationsliste neben dem Bett gesehen hatte. Bei denen, die Medikamente nahmen, vollzog sich die Zersetzung im Verdauungstrakt schneller. Und im Nebenzimmer tobten die streitenden Angehörigen. Er beschloss, auf das Problem mit der Fernsehzeitschrift nicht näher einzugehen. »Ist Viktor da?«, fragte er, leise, aber eindringlich. »Ich brauche ihn hier wirklich dringend.«
    Hedwig zuckte mit den Schultern. »Nein«, gab sie zu und strich mit dem Bügeleisen die Knopfleiste eines Hemdes entlang. »Er ist nicht nach Hause gekommen.«
    »Verdammt.« Nebenan klirrte etwas, und Wolfgang Anders wandte sich unbehaglich um. »Die schmeißen hier schon mit Tellern.«
    »Du Armer«, stellte seine Frau fest und plättete mit Nachdruck die Stickerei mit dem Firmenlogo auf der Hemdbrust.
    »Du weißt, wie sehr ich so etwas hasse.« Wolfgang Anders wippte auf den Zehen.
    »Darlehen? Darlehen?«, kreischte nebenan eine hohe Stimme. »Wann hättest du Mutter je einen Cent zurückbezahlt von dem Geld, das sie in deinen maroden Betrieb gepumpt hat?«
    »Ja, ich weiß«, gab seine Frau zu und summte leise, während die Falten auf den Hemdschößen Stück für Stück verschwanden. »Soll ich ihm Bescheid geben, wenn er heimkommt? Nein, Tobi, nicht in den Mund.«
    »Lass gut sein.« Wolfgang Anders legte auf. Er schnaufte tief durch.
    »Und überhaupt, wer hat sich denn das Meißner Porzellan schon vor Jahren unter den Nagel gerissen?«, hörte er es aus dem Wohnzimmer kreischen. Er griff zur Packung mit dem Zellstoff und stellte fest, dass sie beinahe leer war. Er seufzte. Kurz erwog er es, nach nebenan zu gehen und vorzuschlagen, dass jemand einen Kaffee für alle kochen könnte. Doch er ließ es bleiben, wandte sich wieder dem Malheur vor sich zu und fasste dann einen Entschluss. Der Junge wollte sein Compagnon sein, dann sollte er auch arbeiten. Er würde ihn anrufen. Langsam ging er auf dem Display seines Mobiltelefons die Adressenliste durch, bis er auf den neuen Eintrag mit der Handynummer seines Neffen stieß. Er drückte die Anruftaste.
    Viktor fühlte jeden einzelnen seiner Finger absterben, während er zusah, wie der Junge an das Regal trat, von einem unauffällig an der Seite angebrachten Haken einen Schlüssel nahm, damit den Metallschrank öffnete und die Pistole hineinlegte.
    Viktor war so erleichtert, dass er beinahe seufzte. Er verlor die Tür aus seinen tauben Fingern, die sich mit einem einladenden Quietschen ein wenig öffnete.
    Der Junge fuhr herum. Viktor hielt die Luft an.
    Im selben Moment wurde mit Nachdruck die ferne Kellertür geöffnet. Mit einem Mal erfüllten mehrere Stimmen den Kellergang. Energische, vielfältige Schritte klackten die Treppen hinunter. In den Jungen kam Leben. Hektisch schloss er den Waffenschrank, sperrte ab, hängte den Schlüssel zurück an seinen Haken und schaute sich dann um. Nein, beschwor Viktor ihn im Geiste, nein, nicht hierher, pfui, aus, ganz, ganz dumme Idee.
    Aber da riss der andere schon die Schranktür auf und drängte sich rücksichtslos zu Viktor hinein, der durch all den Loden hindurch platt gegen die Rückwand gepresst wurde. Der

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