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Gemordet wird immer

Gemordet wird immer

Titel: Gemordet wird immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Korber
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Aufenthalt im Kibbuz antreten. ›Sühnearbeit für die deutsche Vergangenheit‹ hatten seine Eltern das genannt. Seine Freundin war am Boden zerstört, und Markus fand die Idee großartig, Viktor Pass und Ticket zu überlassen und stattdessen im Schrebergartenhaus von Stellas Eltern zu kampieren.
    Einen halben Tag später fand Viktor sich zwischen Meer und Wüste wieder. Er pflückte Orangen, arbeitete in der kibbuzeigenen Käsefabrik, im Kindergarten, der Autowerkstatt, dem Stall und der Mensa. Nach den drei Monaten wechselte er den Kibbuz und verlängerte seinen Aufenthalt auf unbestimmte Zeit. Er ritt morgens am Strand entlang und lag abends im Schlafsaal in seinem Stockbett und hörte Musik. Er wurde ein Meister im Backgammon. Er war beliebt bei den anderen, war einer von ihnen, nur dass er nichts von zu Hause erzählte und auch keine Postkarten schrieb. Aber das fiel kaum auf.
    Eines Tages dann sprach ihn diese alte Frau an, eine kibbuzzbekannte Eigenbrötlerin, von der man munkelte, dass sie eine Nummer auf dem Handgelenk tätowiert hätte. Sie hielt ihm ihren Stock vor die Brust, damit er stehen blieb, und fragte ihn, was er hier zu suchen hätte. Alle hatten ihm gesagt, dass sie das bei jedem tat, der aus Deutschland käme, und dass er sich nichts daraus machen sollte. Doch ihre Frage ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Er hatte keine Antwort gefunden. Und wem kein Grund zum Bleiben einfiel, dachte er, der musste wohl gehen.
    Das Geld, das er im Kibbuz verdient hatte, reichte für einen langen Flug, weit fort von dieser Frage. Aber war er deshalb der Antwort nähergekommen? Bis heute dachte er, die Frau müsste ihm angesehen haben, dass er fast jede Nacht von Alpträumen geplagt wurde, in denen der Tod ihn umgab, dieser Meister aus Deutschland.
    »Tahumptatumptatam«, summte Viktor einen Marsch vor sich hin. Er stand auf und schaute hinaus. Aber weder auf dem Rasen um die Terrasse noch zwischen den rötlichen Stämmen der Bäume weiter hinten war auch nur die Schwanzspitze einer Katze zu entdecken.
    Im selben Moment hörte er die Eingangstür ins Schloss fallen. Viktor wandte sich um. »Hi, Onkel Wolfgang«, sagte er.

2
    »Hai«, wiederholte sein Onkel gedehnt und zeigte alle Zähne. Bei ihm klang es wie ein letzter Gruß in Fischform. Wolfgang Anders verzog das Gesicht, als hätte er etwas Bitteres geschmeckt. Er zupfte seinen schwarzen Anzug zurecht, setzte sich an den gedeckten Kaffeetisch und musterte eingehend die üppigen Blüten auf Viktors Hawaiihemd.
    »Ein Abschiedsgeschenk«, erklärte Viktor. »Von den Jungs aus der Surfschule. Ich mag vor allem die Papageien.«
    »Surfschule?«, fragte Tante Hedwig, die wieder hereingekommen war, um ihrem Mann Kaffee und Milch einzuschenken. »Wie interessant.«
    »Wusstest du das nicht, Hedwig?«, fragte der Onkel, ohne Viktor aus den Augen zu lassen. »Als seine Eltern aus dem Leben schieden, ohne auch nur das Geringste vom Verbleib ihres Kindes zu wissen, amüsierte sich unser Neffe an den Stränden von Hawaii. Stimmt’s Viktor?«
    »Oh ja«, bestätigte der und hob die Tasse an die Lippen. »Ich habe quasi Tag und Nacht am Strand verbracht. Vor allem die Nächte.« Er zwinkerte seiner Tante zu. »Ihr wisst ja, wie das ist, Sonne, Strand, Bikinis, Rum.«
    Sie mussten ja nicht wissen, dass er meist im Geräteschuppen geschlafen hatte, zumindest bis sie in der Surfschule genug Vertrauen zu ihm gefasst hatten.
    »Ja, aber eine Surfschule?«, fragte Tante Hedwig ratlos. »Du warst als Kind doch immer so wasserscheu?«
    »Tja, aus dem Job als Gärtner in der Ferienanlage bin ich rausgeflogen, weil die Verwaltung herausgefunden hat, dass ich ab und zu in den leerstehenden Appartements gepennt habe. Nicht alleine, noch dazu.« Er grinste. »Aber dann entdeckte ich zum Glück das handgeschriebene Schild: › Saisonal help needed. ‹ Ich hab mir den Sand aus den Haaren gekämmt, angeklopft, gelächelt und den Job bekommen.«
    »Die Menschen definieren Karriere eben unterschiedlich.« Onkel Wolfgang schüttelte den Kopf. »Andererseits verstehe ich jetzt, warum du so plötzlich hier auftauchst.«
    Viktor wandte sich wieder an seine Tante. »Es ist gar nicht so übel, im Freien zu schlafen. Die Mädchen fanden es meist sogar ausgesprochen romantisch.«
    »Touristinnen, nehme ich an«, sagte sein Onkel. »Ahnungslose Dinger, die gar nicht erst die Chance bekamen herauszufinden, dass du schlicht kein Zuhause besitzt.«
    »Ich besaß meinen Rucksack.« Viktor hob ihn

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