Gemordet wird immer
rollen. »Er wurde erwürgt.«
»Erwürgt«, echote Viktor.
»Erwürgt«, bestätigte Hoffmann. »Und das als Vertrauensvorschuss. Denn die paar Zeilen eben stammen nicht von deinem Meister, die sind von dir, mein Junge. Oder glaubst du, ich erkenne Bulhaupts Garten nicht?«
Viktor errötete. Miriam sah ihn an, halb tadelnd, halb bewundernd. »Onkel Martin …«, begann sie dann.
Er nahm ihre Hand. »Keine Sorge. Er gefällt mir, dein Freund.« Miriam biss sich auf die Lippen. Aber Viktor war so galant, den Irrtum nicht richtigzustellen. »Ja, ich mag ihn, und ich bin gespannt, was er aus der Sache machen wird. Die Schneid ist zwar gut, aber …« Er lächelte. »Konkurrenz belebt das Geschäft, sagt man. Ich bin doch zu gespannt, wie sie damit umgehen wird.«
»Die Schneid?«, echote Miriam.
»Die Kommissarin, die diesen Fall betreut«, erklärte Viktor und wich ihrem plötzlich sehr aufmerksamen Blick aus.
»Ein echt scharfer Hund, könnte man sagen, wenn sie älter wäre und ein Mann.« Ihr Onkel grinste.
Miriams Blick war weiter auf Viktor gerichtet. Der ignorierte den Einwurf. »Sie schicken mich als Gladiator ins Rennen gegen diese Amazone? Kollegial ist anders.«
»Ich habe nicht viele Freuden.« Hoffmann zuckte mit den Schultern. »Und du wirst dich schon wacker schlagen.« Er trank. »Also, wie war das mit deinem Sensei?«
Später am Abend, sie waren alle schon mehr als ein wenig betrunken, wurde Hoffmanns Blick plötzlich trüb. Viktor hatte ihn nach seinen Büchern gefragt und sich gefreut, einige Titel zu finden, die er von seinem Sensei kannte. Gerührt strich er über die Umschläge. Eine Staubwolke stieg auf.
»Meine Frau hat das früher alles für mich in Ordnung gehalten«, sagte Hoffmann. »Da lagst du übrigens falsch bei deinem Eingangshaiku: Ich bin kein Junggeselle, Witwer bin ich.«
»Das tut mir leid.« Viktor legte das Buch weg, in dem er geblättert hatte.
Hoffmann wedelte mit der Hand in der Luft. »Das ist lange her«, sagte er.
»Wie ist sie gestorben?«
»Ich hab sie umgebracht.« Hoffmann stemmte sich aus seinem Sessel. »Die Karaffe ist ja leer. Ich will mal sehen, ob in der Flasche noch was ist.«
Es wurde Mitternacht, bis sie endlich wieder auf der Straße standen. Hoffmann verabschiedete sich mit den Versen: »So alt bin ich schon,/ dass ich mich schäme/ vor der Vogelscheuche.« Miriam drückte wortlos ihre Wange an sein faltiges Gesicht, was er gerührt zur Kenntnis nahm. Viktor trennte sich mit einem festen Händedruck. »Wir müssen scheiden/ Vogelscheuche, alter Freund,/ Leb wohl.«
Hoffmann lachte. »Izen«, rief er ihnen nach. »Izen, das habe ich gleich erkannt.«
Der Nachbarshund begann zu bellen. Ihre Schritte hallten in der leeren Straße wider. Das Wohnzimmer voller Gelächter blieb zurück. Und Viktor dachte, dass auch dieser Moment einen Vers wert wäre.
»Wie hat er sie umgebracht?«, fragte er Miriam.
»Gar nicht«, erwiderte die unwillig und begann, schneller zu gehen. Aber Viktor ließ sich nicht abschütteln. Schließlich gab Miriam auf, blieb stehen und wandte sich zu ihm um. Im Licht der Straßenlaterne sah er ihr blasses Gesicht.
»Onkel hat angehalten, um bei einem Unfall zu helfen, verstehst du? Seiner Frau sagte er, sie solle im Wagen bleiben. Ein drittes Auto fuhr auf sie auf. Später sagte er, dass er, schon als er den Aufprall sah, wusste, dass ihr Genick gebrochen sein würde. Aber er musste ein ganzes Stück laufen, bis er bei ihr war, über hundert Meter hatte der Unfallfahrer seinen Wagen vor sich her geschoben. Meine Tante lag zusammengesunken über dem Lenkrad. Später dann hat sich seine Diagnose auf dem Seziertisch bestätigt: Genickbruch. Sie war sofort tot gewesen.«
»Er hat sie aufschneiden lassen?«, fragte Viktor.
Miriam schaute ihn an. »Er hat es selbst getan.«
Sie gingen weiter. Nach einer Weile sagte Viktor: »Mein Vater hat seine eigene Tochter aufbereitet.« Wieder waren nur ihre Schritte zu hören.
»So ist das wohl«, antwortete Miriam nur.
Viktor nickte. Aber er war sich nicht sicher, ob sie das in der Dunkelheit sah. »So ist das wohl«, bestätigte er daher und fügte hinzu: »Wie ist es, kommst du noch auf einen Tee mit zu mir?«
23
Mit überkreuzten Beinen saßen sie auf dem Perser im Wohnzimmer und pusteten auf ihren heißen Tee, noch immer erstaunt über das, was eben geschehen war. Wieder vollständig bekleidet, konnten sie sich beide kaum vorstellen, dass sie eben noch nackt gewesen waren und …
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