Gemordet wird immer
Viktor, dass er ihr einen Mercedes-Stern überreichte. »Wann hast du den denn abgebrochen?« Er wollte sich schon bei Hedwig entschuldigen, da zog Tobias einen zweiten Stern aus seiner Tasche, und einen dritten. Und einen vierten.
Die Tante nahm sie in aller Ruhe entgegen. Erst als sie Viktors Blick bemerkte, wurde sie ein wenig rot. Rasch schob sie eine Schublade auf und warf die Sterne hinein. Das Klirren ließ Viktor ahnen, was die Lade noch enthielt. »Das zahlt denen doch die Versicherung«, murmelte sie.
»Also, Tante Hedwig«, sagte Viktor. Doch er konnte den Respekt, den er in diesem Moment für seine Tante hegte, nicht verbergen.
22
»Und du bist dir sicher, dass du mitkommen willst?«, fragte Viktor zum wohl zwanzigsten Mal.
Miriam an seiner Seite nahm ein wenig an Tempo zu. »Es ist gleich da vorne.«
»Ich frage ja nur, weil ein paar unappetitliche Details zur Sprache kommen könnten.« Viktor war nicht wohl bei dem Gedanken, dass jemand seine ersten ernsthaften Gehversuche als Detektiv aus nächster Nähe mitverfolgen würde. Schon gar nicht Miriam mit ihrer scharfen Zunge. Er überlegte bereits fieberhaft, mit welchen ausgetüftelten Strategien er seinen Gastgeber dazu bringen könnte, von der Dichtung zur Leichenfledderei überzugehen und ihm ein paar seiner Berufsgeheimnisse zu verraten.
»Ich steh auf unappetitliche Details.« Miriam Wechsler ließ sich nicht abwimmeln.
»Sind wir jetzt doch ein bisschen nekrophil? Du weißt, das macht mir Angst, wir Bestatter müssen da sehr sensibel sein.«
»Hier ist es.« Sie drückte auf den Klingelknopf und zupfte an seiner Jacke herum. »Mach bitte einen guten Eindruck, soweit dir das möglich ist.«
»Hab ich irgendwas nicht mitbekommen?«, fragte Viktor.
Sie nahm seinen widerstrebenden Arm. »Keine Sorge, das ist keine Verlobung. Einen guten Eindruck sollte man immer machen, verstehst du?«
»Gut, dass mir das mal jemand erklärt.« Viktor straffte sich übertrieben wie ein Debütant vor dem Eröffnungswalzer beim Wiener Opernball. Miriam stieß ihm mit dem Ellenbogen in die Rippen. Er schnappte gerade nach Luft, als die Tür sich öffnete und ein alter Mann vor ihnen stand.
Professor Hoffmann war groß und knochig. Seine Haut und seine Kleider hingen an ihm, als hätten sie bis vor Kurzem einem wesentlich schwereren Mann gehört. Sein Rücken war leicht nach vorne geneigt, und sein dünnes weißes Haar, unter dem die Kopfhaut rosig hervorschimmerte, stand ihm verstrubbelt vom Kopf. Doch seine blitzblauen Augen hinter der geschliffenen Brille musterten sie aufmerksam. Er trug eine Anzughose, die nur von Hosenträgern auf den nicht vorhandenen Hüften gehalten wurde, eine Krawatte und eine Strickweste, die alle Zeichen eines seit Jahrzehnten getragenen Lieblingsstücks aufwies.
»Kommt herein«, sagte Hoffmann. Er begrüßte Miriam mit einem Kuss auf die Wange und hielt Viktor die Tür weiter auf.
Der rang nach Miriams Attacke noch nach Atem und musste sich mit einem Nicken begnügen. Eine fette schwarze Katze strich an seinen Beinen vorbei, dehnte sich mühelos auf doppelte Länge und glitt nach draußen.
»Die Katze hat geschlafen./ Sie streckt sich, gähnt/ und geht auf Liebe aus«, zitierte der Pathologe auf Japanisch. »Issa«, fügte er hinzu.
Viktor, der einen Blick auf den mit Bücherregalen vollgestellten Flur erhascht hatte, konterte mit: »Ein Frühlingsabend./ Was er wohl lesen mag,/ der Junggeselle?«
»Von Basho?«, fragte Hoffmann.
»Shiki«, verbesserte Viktor.
»Ah, neunzehntes Jahrhundert. Interessant, sehr interessant«, stellte der Pathologe fest und ließ sie herein. »Links und durch den Flur«, kommandierte er. »Kennen Sie auch: ›Der große Buddha ist kühl bis ans Herz‹?«
Viktor folgte den Anweisungen und betrat das Wohnzimmer, wo bereits ein Feuer im Kamin prasselte und auf einem kleinen Tisch drei Gläser und eine Karaffe mit Sherry auf sie warteten. Er schaute seinen Gastgeber an. »Ich persönlich mag lieber: ›Auf der einen Schulter/ des großen Buddha/ ist der Schnee geschmolzen.‹«
Hoffmann lachte und schenkte ohne zu fragen allen einen großzügigen Schluck ein. Sie versanken fast in den tiefen Sesseln, die er ihnen anbot.
»Keine Frage«, stellte der Pathologe fest, nachdem er einen tiefen, offenbar befriedigenden Schluck genommen hatte. »Ihr Japanisch ist ausgezeichnet. Sie werden mich blendend unterhalten, bis Sie mir alle Einzelheiten über den guten Bulhaupt aus der Nase gezogen
Weitere Kostenlose Bücher