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Gemordet wird immer

Gemordet wird immer

Titel: Gemordet wird immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Korber
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haben.«
    Viktor fuhr zu Miriam herum. »Du hast geredet«, stellte er vorwurfsvoll fest.
    Sie zuckte mit den Schultern und trank aus ihrem Glas.
    Hoffmann tätschelte ihr die Hand. Dann fixierte er Viktor streng. »Glauben Sie aber nicht, dass ich es Ihnen leicht machen werde. Umsonst erfahren Sie von mir nichts.« Er griff zu seinem Glas. »Also sagen Sie: Was halten Sie von der These, dass das Haiku keine Spaltung kennt in Ding und Bedeutung, Anschauung und Sinn?«
    Viktor sandte ein Dankgebet an seinen Sensei, der in so vielen Nächten mit ihm über diese Dinge geplaudert hatte, und legte los. »Das sind doch alles tote Dualismen«, stellte er fest. »Westliches Denken. Für den Haiku-Dichter ist die Welt, ist der Kosmos eine einzige große Einheit. Sie zu erleben, konkret zu erleben, heißt, sie in jedem Moment als Einheit und als Ganzes zu erfahren.« Er lächelte ein wenig. »Ich zitiere hier meinen Meister, und ich muss zugeben, auf einer theoretischen Ebene verstehe ich, was er meint. Er hat sich auch sehr um mich bemüht. Aber es ist nicht einfach.«
    »Wenn es das wäre«, meinte Hoffmann, »wäre die Welt überschwemmt von Haikudichtern und Mönchen. Schon schlimm genug, dass ich und meinesgleichen es versuchen.«
    »Mein Sensei sagte, das Haiku sei die ganze Welt in einem Augenblick. Er treffe das Ganze, wie mit einem Wurf, einem Hieb, einem Bogenschuss.«
    »Zen in der Kunst des Bogenschießens«, stellte Miriam aufgeregt fest. »Ein tolles Buch, das habe ich in meinem Laden.«
    Hoffmann wechselte das Thema, ohne ihren Einwand zu beachten. »Und was halten Sie von den drei strengen Regeln: ein Naturgegenstand, ein Augenblick, die Gegenwart?« Er nahm einen Schluck. »Bei uns im Kurs gab es heftige Verfechter der These, dass diese Gesetze der Moderne und Europa und der Individualität des Dichters angepasst werden müssten.«
    »Gehörte Sabine Kesselring zu den Vertretern dieser Schule?«, fragte Viktor.
    »Sie kennen Sabine?« Hoffmann dachte nach. »Tja, sie gehörte wohl dazu. Sie versuchte, Haiku auf die Lebenssituation der modernen Hausfrau einzustimmen, wenn ich mich recht erinnere. Ein Haushaltsgegenstand pro Gedicht. Ich werde nie die drei Zeilen über ihren Tampon vergessen.«
    Miriam prustete los und hielt sich die Hand vor den Mund. »Andererseits«, meinte sie, als sie sich etwas gefangen hatte, »würde ich bei dem Thema nicht mit nur siebzehn Silben auskommen.«
    Viktor ignorierte sie. »Die Kesselring behauptet, Bulhaupt habe sie daraufhin quasi hingerichtet.«
    »Geschlachtet trifft es eher.« Hoffmann kicherte. »Er konnte sehr boshaft sein mit seiner Kritik.« Er schenkte sich nach. Dann nickte er Miriam zu. »Sie hat zu dem Thema übrigens einen ganzen Zyklus verfasst.«
    »Zyklus, klar.« Das Mädchen verschluckte sich fast.
    Viktor ließ nicht locker. »Gab es noch andere, die er sich auf diese Weise zu Feinden gemacht hat?«
    »Sie meinen, so sehr, dass sie ihn mit seinem eigenen Kipplader in den Rücken schießen?«
    »Diese Waffe war es also?«, entfuhr es Viktor.
    Hoffmann schaute ihn über seine Brille hinweg an. »Jetzt haben Sie mich da, wo Sie mich haben wollten, was?«
    Viktor grinste. »Ich könnte Ihnen noch was zum Thema modernes Haiku erzählen, mein Sensei verfasst nämlich welche. Er ist ein Schüler Kyoshis.«
    »Was Sie nicht sagen! Kyoshi! Donnerwetter!« Hoffmanns Gesicht rötete sich vor Freude: »›Die Schlange glitt davon,/ doch ihre Augen/ blieben im Gras.‹«
    »Das ist unheimlich«, stellte Miriam fest.
    Hoffmann schenkte ihr erneut ein. »Das ist genial«, verkündete er und prostete sich selbst zu. »Schlicht und einfach genial.« Dann fixierte er Viktor. »Wie heißt Ihr Sensei? Kenne ich ihn?«
    Viktor hob sein Glas. »Es war also eine seiner eigenen Waffen?«, fragte er. Langsam bekam er die Unterhaltung in den Griff, und er genoss es.
    Hoffmann nickte langsam. »So ist es«, sagte er. »So ist es. Aber gestorben ist er nicht an dem Schuss.«
    »Nicht?«, fragten Viktor und Miriam gleichzeitig und richteten sich auf. Sie schauten einander kurz an und dann wieder auf Hoffmann.
    Jetzt war es an dem Pathologen zu grinsen. Wieder füllte er die Gläser.
    Viktor trank seines vor Spannung in einem Zug aus. »Papyrusgebüsch«, rezitierte er langsam, als das erwartungsvolle Schweigen allzu bedrückend wurde. »Vorjährig raschelt es/ zum neuen Amsellied.«
    Hoffmann bewegte den Kopf, als ließe er sich die Verse wie einen guten Rotwein über die Zunge

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