Gemordet wird immer
Glauben Sie, Männer sind die Einzigen, die das wissen?«
»Und wann, wann, wann, wann war das dann also?«
»Wieso fragen Sie?«
Viktor versuchte sich zu sammeln. »Also, es ist nur. Jedenfalls …« Endlich hatte er sich wieder im Griff. »Es wäre doch ein schrecklicher Gedanke, wenn Sie die Letzte gewesen wären, die … oder«, beeilte er sich, »… vielleicht auch ein schöner, immerhin hat er noch mal … je nachdem …«
»Gott, sind Sie verklemmt.« Sie grinste. »Aber schön, ich mach’s.« Sie war mit der zweiten Zigarette fertig und drückte sie aus. Dann streckte sie ihm die offene Hand entgegen.
Viktor reichte ihr den von ihm entworfenen Ablaufplan für die Beerdigung. »Es geht um den Programmpunkt nach den Fürbitten«, erklärte er. »Wenn Sie da ein paar Ihrer Haikus einbringen wollen, stellvertretend für die Gruppe.«
»Klar.« Sie studierte den Plan.
»Und Sie wissen wirklich nicht mehr …?«, begann er.
»Ich führe keinen Plan darüber, wann ich mit wem vögle«, sagte sie und ließ ihre Knie auseinandergleiten. »Das passiert doch eher spontan, nicht wahr?«
Viktor schluckte. »Klar«, sagte er.
25
Er fühlte sich ein wenig erschöpft, als er am späten Vormittag vor dem Haus der Bulhaupts eintraf. Auf sein Klingeln hin öffnete Dorota, die ihn erstaunt ansah. »Frau Bulhaupt nicht da«, begann sie, aber Viktor unterbrach sie rasch. »Ich möchte mit der Mutter sprechen, der alten Frau Bulhaupt, wenn das möglich ist.«
»Ich weiß nicht …«, Viktors Wunsch war ihr sichtlich unangenehm, aber der war schon eingetreten. Er lächelte auf sie hinunter. »Keine Sorge, falls sie etwas unfreundlich ist, das bin ich gewohnt.«
Dorota erwiderte sein Lächeln. »Wie geht es Ihr Bruder?«
»Er ist mein Cousin, aber es geht ihm gut. Danke.« Von oben war eine Klingel zu hören. »Das Leben ist nicht einfach«, stellte Viktor fest, als er sah, wie Dorota das Gesicht verzog.
»Nicht einfach«, bestätigte sie. »Wer je sagt: einfach.«
Viktor folgte ihr die Treppe hinauf, vorbei an einem Lift, dessen Sitz am oberen Absatz auf sie wartete. Das Krankenzimmer lag gleich dahinter.
Viktors Blick fiel zuerst auf den Bettgalgen, den er schon durch das Fenster erspäht hatte. Daran hing der übliche trapezförmige Haltegriff, um den die Kabel einer elektronischen Klingel geschlungen waren, die eine knochige, von Altersflecken gesprenkelte Hand mit ungeduldigem Nachdruck betätigte.
Die Frau, der die Hand gehörte, saß, von einem Berg Kissen gestützt, beinahe aufrecht im Bett. Sie war klein und unglaublich mager, fast nur noch Haut und Knochen. Aber die Haut war zäh und die Knochen spitz. Ihre tief eingesunkenen Augen waren geschminkt, und ihr Mund leuchtete in einem Orange, das ihr in ihrer Jugend sicher einmal gut gestanden hatte, jetzt aber in den tiefen Falten um ihre Mundwinkel herum verlief. Sie trug große goldene Ohrringe und Armreife, die zu schwer für sie zu sein schienen. Ihr Bettjäckchen war apricotfarben und gerüscht.
»Wo bleibt die polnische Schlampe?«, fragte sie, obwohl Dorota bereits wieder im Zimmer war. »Die ausländischen Dienstboten taugen alle nichts. Dorota, das Fenster, ich hole mir ja den Tod.« Zu Viktor gewandt fuhr sie fort. »Faul, wie alle. Aber schöne Haare hat sie. Dorota, zeig dem Herrn mal deine Haare, na los doch.«
»Zweifellos«, wehrte Viktor das Ansinnen der alten Dame ab. Mit einem Nicken signalisierte er dem Mädchen, dass es sich in Sicherheit bringen solle.
»Frau Bulhaupt, zunächst möchte ich Ihnen mein herzliches Beileid aussprechen zum Tod Ihres Sohnes.«
»Sein Vater, das war ein Mann.« Sie zog sich noch ein Stück höher in den Kissen, in denen sie fast zu versinken schien. »Ein Kapitän zur See, mit einer Uniform, sage ich Ihnen. Wir waren so ein schönes Paar. Von ihm sind auch die ganzen Sachen unten, haben Sie sie gesehen?«
»Die Kunstgegenstände?«
»Alles Mitbringsel von seinen Reisen. Eines Tages wollte er mich mitnehmen, wenn die Kinder größer wären. Die Aufgabe der Frauen ist das Warten, wissen Sie. Wir sind geübt in Geduld. Dorota!«
»Was gibt es denn? Vielleicht kann ich Ihnen helfen?«, erbot Viktor sich.
Sie musterte ihn mit wachen Augen. »Geben Sie mir das Buch vom Nachttisch«, forderte sie ihn auf.
Viktor gehorchte und sah, dass es ein Fotoalbum war. »Was ich zuerst gerne wissen möchte, ist, ob Sie sich imstande fühlen, an der Beerdigung teilzunehmen. Damit wir die entsprechenden Vorkehrungen
Weitere Kostenlose Bücher