Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gemordet wird immer

Gemordet wird immer

Titel: Gemordet wird immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Korber
Vom Netzwerk:
es?«
    »Ich hab dich da stehen sehen, da auf der Treppe, fast wie gerade eben. In deinem gestreiften Pyjama.«
    »Du warst auch hier?« Viktors Stimme klang ungläubig. »An dich erinnere ich mich nicht.« Er schüttelte den Kopf, als müsse er aus einem Traum erwachen. »Genau genommen habe ich bis vor Kurzem nichts von dem hier mehr gewusst.«
    Sein Onkel verschränkte die Arme. »Glaubst du, ich lasse meinen Bruder alleine, wenn er den Leichnam seiner Tochter waschen muss?«
    »An dich erinnere ich mich nicht«, beharrte Viktor.
    Sein Onkel runzelte die Stirn. »Du erinnerst dich an so manches nicht, mein Junge, nur an das, was dir passt.«
    Viktor lachte auf. »Wenn du es genau wissen willst«, sagte er schrill. »Ich hatte das hier vergessen, komplett, total. Bis diese Polin mir mit einer Bratpfanne auf den Schädel geschlagen hat. Vielleicht waren es auch die Medikamente, keine Ahnung. Aber jetzt«, er tippte sich an die Schläfe, »bin ich wieder vollkommen klar. Und du kannst mir glauben, ich erinnere mich an jeden Moment dieser Nacht.«
    »Das tue ich auch.« Sein Onkel straffte sich und zog seine Jackettärmel stramm.
    Viktor nickte aggressiv. »Das hoffe ich, Onkel, das hoffe ich wirklich. Du sollst dich auch erinnern, verdammt. Wie konntet ihr nur?«
    »Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«
    »Darüber sind wir doch wohl hinaus, meinst du nicht?« Viktor trat auf die andere Seite der Aluliege. Sie war sauber bis auf das dichte Mosaik der Kratzer, das ihre Oberfläche bedeckte. So viele Tote, so viele Male. Einmal war es Hannah gewesen. »Ich habe ihn gesehen«, sagte er. Seine Stimme war nur noch ein Flüstern. »Er, er hat sie angefasst.«
    »Was meinst du damit?« Die Stimme seines Onkels war steif vor Widerwillen.
    »Was ich damit meine? Meine Schwester hat hier gelegen, nackt, verdammt noch mal, und er war mit seinen verfluchten Fingern überall.«
    »Viktor!« Wolfgang Anders’ Stimme wurde lauter. »Er hat sie gewaschen. Gewaschen, verstehst du? Sonst gar nichts. Himmelherrgott, du hast das doch selbst schon oft genug getan.«
    Viktor schüttelte den Kopf. »Aber nicht so.« Es würgte ihn. »So nicht.«
    »Du musstest diesen Dienst auch noch nie deinem eigenen Kind erweisen. Junge.« Er versuchte, Viktor eine Hand auf die Schulter zu legen. »Er war gebrochen vor Kummer, einen Moment lang dachte ich, dein Vater steht das nicht durch. Aber er hat nie … Er hätte niemals … Viktor. Er hat Hannah geliebt. Und er hat Abschied von ihr genommen. Von dem Kind, das er so oft auf dem Schoß hatte, das er als Baby gebadet hatte. Er war ihr Vater, verdammt.«
    »Er hat sie geküsst.« Es schüttelte Viktor bei der Erinnerung. Er schlug den ausgestreckten Arm zurück.
    Sein Onkel schaute ihn streng an. »Gebe Gott, dass du nie vor einem toten Menschen stehen musst, den du liebst«, sagte er. »Du warst ein Junge, blind vor Kummer, der nicht verstand, was er sah.«
    »Ach, ist es das, was du mir einreden willst?«
    »Du bist es noch.« Er schaute seinen Neffen an. »Du tust mir leid.«
    »Tue ich das?«, fauchte Viktor.
    »Ja«, sagte sein Onkel unerschüttert.
    Viktor starrte zurück, eine lange Zeit. Er wollte etwas sagen, aber er brachte keinen Laut heraus. Schließlich fuhr er herum und rannte, rannte die Treppe hinauf, durch den Flur, riss die Haustür auf. Nur hinaus, raus hier. Erst im Garten kam er wieder zu sich.
    Es war dunkel, es nieselte. Erst jetzt spürte er, wie heiß sein Gesicht war. Nein, dachte er, nein, nein, nein, nein, nein. Er konnte das nicht glauben. Er wollte das nicht glauben. Sie wollten ihn verwirren, ihn berauben. Hannahs berauben. Aber er würde an der Wahrheit festhalten. So einfach würden sie nicht davonkommen.
    »Viktor?«
    Es dauerte eine Weile, bis Viktor die Stimme bemerkte. Er hob den Kopf und sah im Licht der Straßenlaterne eine Gestalt, die ihm zuwinkte. Wie ein beim Weinen ertapptes Kind wischte er sich über das Gesicht.
    »Herr Professor Hoffmann«, sagte er und trat an den Zaun. »Was, was führt Sie hierher?« Er hoffte, dass man seiner Stimme die Erregung nicht anmerkte.
    »Ein glücklicher Zufall offenbar«, sagte der alte Mann. »Da ich Sie direkt hier treffe.« Er hielt ein Paket hoch. »Angesichts meiner Mission hätte ich nur sehr ungern an Ihrer Haustür geklingelt.«
    »Für mich?«, fragte Viktor.
    »Es ist von meiner Nichte«, gestand Hoffmann. »Sie wollte es nicht länger in ihrer Wohnung aufbewahren und gab es mir.« Er lachte. »Vermutlich dachte

Weitere Kostenlose Bücher