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Generation Laminat - mit uns beginnt der Abstieg

Generation Laminat - mit uns beginnt der Abstieg

Titel: Generation Laminat - mit uns beginnt der Abstieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Fischer
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durchlaufen. Offenbar hat er in einem viel bedrückenderen Ausmaß Recht, als ich das bei der Lektüre geahnt habe, das ist mir anhand der Gespräche klargeworden. Es ist der überall im Gang befindliche Abbau bereits errungener Arbeitnehmersicherheiten und -rechte, der die Menschen nicht nur verunsichert, sondern ihnen auch den Eindruck vermittelt, auf sie komme es sowieso nicht an. Die meisten Menschen klingen, wenn sie über ihre Arbeitsplätze sprechen, bitter. »Wir kommen doch überhaupt nicht vor« ist ein Satz, den ich oft schon selbst gesagt und oft genug gehört habe. Demotiviert nennt man den Zustand, der sich darin ausdrückt. Weshalb Motivationsratgeber meterweise in den Regalen stehen. Einen Nutzen haben sie nicht, denn gegen demotivierende Strukturen helfen motivierende Worte gar nichts. »Struktur geht vor Psyche« lautet eine Faustregel guter Organisationsberatung.
    Jürgen erlebt diese Struktur so: »Die Industriegesellschaft organisiert sich immer mehr in einer Bürowelt, und in diesen Büros gibt es Hackordnungen und Subkulturen. Man arbeitet nicht miteinander, sondern gegeneinander. Und man hat keine Handhabe, denn es gibt eine Struktur, es gibt Hierarchien, die das verhindern. Und ich frage mich: Soll ich mich unterwerfen, den Knecht spielen für ein paar Jahre, oder soll ich rebellieren und einfach gehen? Aber wohin? In das nächste Büro, na toll.«
    Für Jürgen ist der Schluss, den er aus diesem Gefühl zieht, ebenso naheliegend wie fatal: »Wenn die anderen sich nicht für einen interessieren, warum soll ich mich dann für sie interessieren?«
    »Müde bin ich«, sagt die Nachbarin, der demnächst der Bezug von Hartz IV droht, »verdrossen und müde, weil ich keine Änderung sehe. Was ich sehe, ist, dass die Gesellschaft sich auf dem absteigenden Ast befindet. Ich sehe, dass es für die meisten Menschen nicht schön ist, kein gutes Arbeiten, kein soziales Arbeiten. Ich sehe, dass da ein Bedarf ist, aber ich sehe nicht, dass sich in den nächsten Jahren irgendwas ändern wird. Ich bin noch nicht mal sauer, ich hab da einfach aufgegeben oder kapituliert.«
    Wer feststellt, dass er trotz aller Anstrengungen nichts bewirken kann, der wird früher oder später resignieren. Wer überzeugt ist, »sowieso nichts machen zu können«, wird es gar nicht erst versuchen. Das Grundgefühl, hilflos und ohnmächtig zu sein, hat entscheidende Auswirkungen sowohl auf die Befindlichkeit als auch auf das Verhalten: Es lässt jede Initiative erlahmen. Der amerikanische Sozialpsychologe Martin Seligman hat für dieses Ohnmachtssyndrom 1975 einen Begriff erfunden: »erlernte Hilflosigkeit«. Diese Art der Hilflosigkeit tritt als Reaktion allerdings nur ein, wenn Menschen die Probleme, mit denen sie konfrontiert sind, in einer bestimmten Weise interpretieren.
    Erstens: Wenn sie das Problem persönlich nehmen, das heißt: Wenn sie das Problem in sich selbst sehen und nicht in den äußeren Umständen. Genau so habe ich jahrelang auf meine gefühlte Abstiegsbedrohung reagiert. Meine permanenten Selbstvorwürfe lauteten: Ich bin nicht gut genug, nicht erfolgreich genug, arbeite nicht genug, verdiene nicht genug, bin nicht sparsam genug. Auch Sandra beobachtet diese Art der Probleminterpretation bei ihren Studienkollegen, die nach Studienende keinen Arbeits-, sondern nur einen Praktikumsplatz finden: »Die Leute, die ich kenne, die ärgern sich auch noch nicht mal so richtig. Da ist schon so ein kleiner Hintergedanke, dass alles unfair ist und dies und das. Aber jeder sucht eben die Schuld bei sich selber.« Was Sandra auch richtig findet: »Es wäre ja bescheuert, wenn ich jetzt anfangen würde, die Strukturen anzugreifen, nur weil ich selber keinen Job finde.« Die Folge: Resignation. »Ich glaube, man hat keine Ideen mehr, das ist vielleicht das Problem unserer Generation. Es ist ja alles irgendwie gescheitert. Man hat die Hoffnung, es bleibt jetzt so, wie es ist. Aber man hat schon das Gefühl, die goldenen Jahre sind vorbei.«
    Zweitens: Wenn man das Problem als generelles betrachtet, also als allgegenwärtig und nicht auf bestimmte Situationen begrenzt. Kann man ein Problem, das die Gesellschaft als Ganzes betrifft, noch als begrenztes bezeichnen? Ich finde nicht. Mich jedenfalls schüchtert die Tatsache, dass offenbar die gesamte Gesellschaft einen schleichenden Umbau erlebt, als Problem durchaus ein. Wie soll ich dagegensteuern? Wie soll ich meinen Platz verteidigen und zugleich für eine gerechtere

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