Generation Laminat - mit uns beginnt der Abstieg
Platzverteilung kämpfen? Kann ich das überhaupt? Wie soll ich das angehen? Geht es darum überhaupt noch? Oder nicht schon um die globale Ungerechtigkeit einer Zweiteilung der Welt? »Wenn einer sagte, wie gehen für eine gesündere, eine menschlichere Gesellschaft auf die Straße, da wäre ich sofort dabei«, sagt meine Nachbarin. Aber was nützen solche wohlfeilen Parolen? Wer wäre nicht für eine »menschlichere Gesellschaft«?
Drittens: Wenn man das Problem als permanentes interpretiert, es also als unveränderlich und nicht als vorübergehend betrachtet. Eine Veränderung, die vor dreißig Jahren begann, ist die vorübergehend? Eine Finanzkrise, die vor drei Jahren begann und sich mittlerweile zu einer umfassenden Gesellschaftskrise ausgewachsen hat, die eine Volkswirtschaft und eine Regierung nach der anderen in den Abgrund stürzt? Ist das ein vorübergehendes Problem? Oder nicht doch eher eine »Strukturkrise«, eine »tiefe Krise der Demokratie«, wie Hartmut Rosa sagt?
Wenn also die meisten Menschen die gegenwärtigen Probleme einerseits als persönliche, selbst verursachte empfinden (ich bin nicht gut genug, nicht »taff« genug, nicht gerüstet genug, ich kann sowieso nichts machen), sie andererseits als generell (nirgends ist es besser) und permanent (wie soll sich das ändern?) interpretieren, dann wundert es nicht, dass ein allgemeines Gefühl der Hilflosigkeit, der Resignation und der Ohnmacht um sich greift.
Die Folgen dieses Gefühls, sowieso nichts ausrichten zu können, hat Martin Seligman so analysiert: Zum einen erleben die Menschen einen Motivationsverlust. Wer erwartet, dass die Ereignisse unkontrollierbar sind, für den gibt es keinen vernünftigen Grund mehr zu versuchen, sie dennoch zu beeinflussen – damit würde er sich nur zusätzliche Frustration einhandeln. Das Zweite ist eine Art Lernbehinderung. Wer davon überzeugt ist, dass die Dinge sich seiner Kontrolle entziehen, konzentriert sich kaum darauf, Handlungsspielräume zu entdecken – seine Lernfähigkeit ist beeinträchtigt. Die Überzeugung, nichts machen zu können, wird dadurch zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung.
Daraus resultiert erst Furcht, dann Depression: Wer sich als ohnmächtig empfindet, reagiert mit Niedergeschlagenheit, einem Zustand, den Seligman zunächst als Hilflosigkeits- und später als Hoffnungslosigkeitsdepression bezeichnete.
Kann eine ganze Generation »erlernt hilflos« reagieren? Ich habe den Eindruck, dass das so ist. Viele meiner Freunde und Bekannten jedenfalls versuchen gar nicht mehr erst, Einfluss zu nehmen. Den Politikern trauen sie nicht, die Occupy-Aktivisten nehmen sie nicht ernst, eigene Handlungsalternativen fallen ihnen nicht ein. Wie auch – schließlich wird das gesamte Leben als ungeheuer komplex erlebt. Sandra zum Beispiel sagt: »Ich glaube, dass die Leute nicht mucken, liegt nicht daran, dass sie nicht politisch sind. Sie wissen schon, was ihnen nicht gefällt, aber sie wissen nicht, wogegen oder wofür sie sein sollen. Weil es einfach zu komplex ist.« Auch Anna findet es schwer, sich in der Welt politisch zurechtzufinden. »Das ist ja auch alles so komplex, dass wir alle deswegen dafür Menschen eingesetzt haben, die uns die Verantwortung abnehmen, denen wir vertrauen sollten. Das Vertrauen in die Politiker ist aber leider nicht mehr da, und selber – ich kann das alles nicht mehr nachvollziehen, wie dass alles miteinander verstrickt ist. Das sollten ja eigentlich die Politiker für mich tun, die ich gewählt habe.«
Die Konsequenz aus diesem Vertrauensverlust ist die viel zitierte Politikverdrossenheit.
Jörg zum Beispiel erzählt: »Wir haben jetzt den Zettel für die Landtagswahl bekommen, und da war ein Übungszettel, haben Sie ausgeteilt. Ein Bogen A2, den faltest du auf, und da steht: ›Sie haben 81 Stimmen.‹ Und auf dem Zettel zur Landtagswahl sind acht Parteien mit 150 Personennamen genannt, die ich alle nicht kenne. Da kann ich auch gleich Lottospielen gehen, davon habe ich mehr.«
Diese Mischung aus Resignation und Zynismus, die man auch als »ohnmächtige Wut« beschreiben könnte, treibt meine Redaktionskollegin Christine regelmäßig in die Raserei. »Sofort den Pass abgeben«, fordert sie dann. »Wer nicht bereit ist, sein politisches und wirtschaftliches Umfeld zu verstehen, der hat seine Bürgerrechte verwirkt.«
Christine allerdings, das muss man fairerweise anmerken, wird dafür bezahlt, Politik zu verstehen. Sie ist »Hintergrundredakteurin«
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