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Generation Laminat - mit uns beginnt der Abstieg

Generation Laminat - mit uns beginnt der Abstieg

Titel: Generation Laminat - mit uns beginnt der Abstieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Fischer
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und bekommt Geld dafür, den Wirtschaftsteil der FAZ mit dem Filzmarker durchzuarbeiten. Annas Job besteht nicht darin, Zeitung zu lesen, sondern Entwürfe zu zeichnen, Bauanträge fertig zu machen, Baustellen zu besichtigen. Abends warten ihre Kinder. Anna hört im Auto Radio, sieht abends mal die Tagesschau und liest eher selten Zeitung. Was sie liest und hört, bestätigt sie aber in ihrem Gefühl, keine Handlungsspielräume zu besitzen. »Bei der ganzen Laufzeitgeschichte der Atomkraftwerke – da merkst du, wärst du RWE, dann könntest du was bewegen, aber nicht als Anna und Jörg.«
    »Ich habe meinen kleinen Platz hier, im Privatleben«
    Anna hat kein Vertrauen mehr in die Politiker, die sie gewählt hat. Vertrauen, lautet eine berühmt gewordene Definition des Soziologen Niklas Luhmann, ist ein »Mechanismus zur Reduktion von sozialer Komplexität«. 151 Weil dieser Mechanismus nicht mehr funktioniert, fühlen wir uns der Komplexität ausgeliefert und von ihr überfordert. Handeln scheint damit unmöglich geworden zu sein. Eine solche Situation ist für einigermaßen intelligente Menschen nur schwer zu ertragen. Viele tun deshalb etwas, was Menschen gern tun, wenn sie sich in scheinbar ausweglosen Situationen befinden: Sie deuten sie dahingehend um, dass Handeln gar nicht vonnöten sei. Frei nach Christian Morgenstern: »Dass nicht sein muss, was nicht sein kann.«
    151 Niklas Luhmann: Vertrauen, S. 27
    Eine Strategie besteht im Rückzug ins Private. Ally drückt das so aus: »Man kann sich dafür entscheiden, kleine Schritte zu machen: Ich habe meinen kleinen Platz hier, der ist nicht groß, aber der gehört mir. Der kann bei der Arbeit sein oder im Privatleben oder aus irgendwelchen spannenden Hobbys bestehen, wo man eben Stärke und Kraft schöpft.«
    Selbstverantwortung nennt Ally diese Haltung, die Anna teilt. »Ich habe versucht, mir andere Anker zu setzen oder zu finden. Wo ich mich wohlfühle, wo ich etwas in kleinem Rahmen gestalten kann.« Zum Beispiel liest sie gemeinsam mit anderen Eltern aus der Waldorfschule Texte von Rudolf Steiner. »Ich suche mir andere Werte oder Ideen oder Richtlinien, die wichtiger für mich sind als Politik.«
    »Die Frage lautet doch«, sagt Agnes bei einem gemeinsamen Spaziergang von der Apfelweinkneipe nach Hause, »ob man sich selbst oder die Umwelt verändert.«
    Es gibt da ein viel zitiertes arabisches Sprichwort: »Willst du dein Land verändern, verändere deine Stadt. Willst du deine Stadt verändern, verändere deine Straße. Willst du deine Straße verändern, verändere dein Haus. Willst du dein Haus verändern, verändere dich selbst.«
    Klingt nicht so, als könnte man etwas dagegen einwenden. Aber die Frage lautet: Verändern wir uns tatsächlich, wenn wir etwa Hobbys betreiben, die uns Kraft geben? Verändere ich mich, wenn ich den kleinen Platz, der mir noch bleibt, schön gestalte? Verändere ich mich, wenn ich einen Job aufgebe, der mir und meiner kleinen Familie nicht guttut, und einen anderen annehme, von dem ich mir Besserung erhoffe? Oder passe ich mich einfach mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln bestehenden Gegebenheiten an? Was bedeutet Selbstveränderung? Und welche Art der Selbstveränderung verändert unsere Umwelt? Denn dem Sprichwort nach wollen wir uns selbst ja als Mittel zum Zweck der Umweltveränderung verändern. Müssen wir uns da nicht erst bewusst darüber werden, welche Veränderung wir wünschen? Wie unser Haus, unsere Straße, unser Land aussehen sollten? Müssen wir uns anschließend nicht fragen, in welcher Hinsicht wir uns selbst verändern müssen, um unsere Straße, unser Haus, unser Land so zu verändern, wie wir es für wünschenswert halten? Und reicht es, wenn wir uns selbst beispielsweise dahingehend verändern, freudig unsere Steuern zu zahlen, aber weiter zusehen, wie andere das nicht tun?
    Ich glaube, das philosophisch so korrekt anmutende Argument der Unmöglichkeit der Umweltveränderung speist sich sehr oft aus dem Bedürfnis, das Gefühl der individuellen Hilflosigkeit zu einer prinzipiellen Bedingung des Lebens umzudeuten.
    Dieser Umgang mit dem Gefühl der Ohnmacht besitzt nämlich zwei Vorteile: Zum einen folgt daraus, dass die Unmöglichkeit der Einflussnahme kein individuelles Versagen darstellt, sondern eine anthropologische Tatsache. Zum anderen macht diese Interpretation jede Initiative sinnlos, jedenfalls wenn man nicht Don Quichotte heißt und gegen Windmühlen kämpfen will. Man muss es also

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