Generation Laminat - mit uns beginnt der Abstieg
gar nicht erst versuchen, womit der Motivationsverlust zu strategischer Klugheit geadelt wäre.
»Eine Schale, ein Tuch und toll. Und dann zufrieden sein?«
Eine weitere Strategie, mit der viele Mitglieder der Generation Laminat auf das Gefühl der Ohnmacht reagieren, besteht in der Relativierung.
»Ich denke, vor 400 Jahren in Bulgarien war das Leben wahrscheinlich auch sehr gefährlich«, sagt beispielsweise Ally.
Ich weiß meistens nicht, was ich auf diese Art von Relativierung antworten soll. »Du bist doch eine schlaue Frau«, sagt Ally zu mir, »du weißt, dass es früher Menschen gab, die anders gelebt haben als du.« Ja, das weiß ich tatsächlich. Und gerade weil ich das weiß, bin ich ja so froh, dass ein paar andere schlaue Leute nach dem Zweiten Weltkrieg den Sozialstaat erfunden haben. Den übrigens auch die Amerikanerin Ally prima findet, die immer noch beeindruckt davon erzählt, wie sie als Mitglied der Künstlersozialkasse trotz geringen Einkommens Mutterschaftsgeld bezog. »Absolut himmlische Verhältnisse hier«, schwärmt sie. Als ich ihr antworte: »Aber es geht ja genau darum, dass diese Verhältnisse sich ändern«, antwortet sie nur trocken: »Immer noch besser als in Amerika.«
Robert sieht das genauso: Unser einziges Problem heute lautet, sagt Robert, dass eben nicht alles immer besser wird. Und er weigert sich, das als Problem anzuerkennen. »Ich finde, die Vorstellung von den bulgarischen Kinderheimen und anderen Ländern, wo wirklich Armut ist, das ist nicht der Teufel aus der Kiste. Ich glaube, manchmal tut es ganz gut, wenn man sich selber so leid tut, sich mal vorzustellen, dass es einem eigentlich ganz gut geht, dass einen das Schicksal nicht niederschlägt, bloß weil es mal nicht so läuft, wie man es sich erhofft hat. Aber da ist die Armut noch weit weg.«
Auch die Relativierung besitzt den entscheidenden Vorteil, Handlungsdruck zu minimieren. Geschickt nutzt sie dabei unser latent schlechtes Gewissen angesichts der ungeheuren globalen Ungerechtigkeit. Wenn es uns, so die Botschaft, doch noch viel besser geht als bulgarischen Waisenkindern, dann ist die Klage darüber, dass man sich kaum noch die Pinienkerne fürs Pesto leisten kann, lächerlich und unmoralisch. Diese Argumentation finde ich persönlich dadurch besonders perfide, dass sie die bulgarischen Waisenkinder nur instrumentalisiert, ihnen aber überhaupt nicht nützt. Geht es auch nur einem Kind dadurch besser, dass es zur Illustration des eigenen Wohlstands herangezogen wird? Auch die Relativierung hat deshalb nach meinem Erachten mehr die eigene Psychohygiene im Blick als das Wohl derjenigen, deren erbärmlicher Lebensstandard als Vergleichsgröße herangezogen wird.
Es gibt noch eine weitere Strategie, mit der wir Mitglieder der Generation Laminat auf den abnehmenden Wohlstand reagieren, und zwar eine, die sich im Allgemeinen hoher moralischer Wertschätzung erfreut: Bescheidenheit. Anna bringt das so auf den Punkt: »Erfolgreich und reich werde ich nicht mehr werden. Deshalb muss ich mir überlegen, was kann für mich Erfolg noch alles sein? Ist das wirklich nur das Geld, das Haus, das Auto etc., oder gibt es noch andere Dinge, die mich stabilisieren und glücklich machen? Es ist das Einzige, was funktioniert. Was soll ich mich hinstellen und sagen ›Ich will diese große Stereoanlage‹, wenn da draufsteht: ›Du bekommst mich aber nicht‹?« Ihr Mann Jörg hebt während Annas kleiner Rede abwehrend die Hände: »Ich gebe dir Recht, es ist wunderschön, buddhistisch. Eine Schale, ein Tuch und toll. Und dann zufrieden sein? Ist sicherlich sehr lobenswert, aber muss ja nicht meine Welt sein.«
Annas Strategie der Bescheidenheit erinnert an die berühmte Äsop-Fabel vom Fuchs und den Trauben. Ein Fuchs versucht, ein paar lecker aussehende Trauben vom Weinstock zu pflücken, was ihm aber nicht gelingt, weil die Trauben einfach zu hoch hängen. Daraufhin beißt er die Zähne zusammen, rümpft die Nase und sagt abschätzig: »Die sind mir noch nicht reif genug. Und ich mag keine sauren Trauben.« Dann stolziert er mit erhobenem Kopf davon.
Es ist eine übliche menschliche Strategie, das zu verachten, was man nicht kriegen kann. Wobei Anna sich keineswegs wie der hochmütige Fuchs gebärdet, aber auch sie versucht, Gründe dafür zu finden, warum das, was sie sich nicht leisten kann, nicht wünschenswert sei. Es geht ihr darum, ein »Spiel nicht mehr mitzuspielen«, Abschied von materiellen Wünschen zu nehmen und
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