Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Generation Laminat - mit uns beginnt der Abstieg

Generation Laminat - mit uns beginnt der Abstieg

Titel: Generation Laminat - mit uns beginnt der Abstieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Fischer
Vom Netzwerk:
Viele der langhaarigen Vierzehnjährigen, die Mitte der Siebziger dort ein und aus gingen, kamen aus Elternhäusern, in denen getrunken und geprügelt wurde. Schon als Achtjährige, die von der Kleidung (Jackett zu Jeans, wow!) und dem Habitus (Jungs mit langen Haaren, holla!) der Jugendlichen schwer beeindruckt war, wusste ich, dass ich deren Probleme nie haben würde. (Was ich unterschätzt habe, ist die natürliche Vielfalt der Problemmöglichkeiten, sodass noch genügend andere Probleme für mich drin waren.)
    Trotz aller German Angst, diesem kollektiven Hang der Deutschen zum Grübeln und zu diffuser Zukunftssorge, ging ich in meiner frühen und auch späteren Jugend immer davon aus, dass ich ohne größere Schwierigkeiten den mir gemäßen Platz in der Gesellschaft finden würde. Dass ich einen Studienplatz, eine Arbeit, eine Familie und ein Haus haben würde. »Ich glaube, damals sind wir von unseren Eltern an den Startblock gesetzt worden«, nennt Anna diese unreflektierte Überzeugung, immer nur geradeaus gehen zu müssen, um anzukommen. Allzu anstrengend, davon waren wir auch überzeugt, würde das schon nicht sein. Es war ein wichtiger Bestandteil des Lebensgefühls in den Achtzigern, dass man eigentlich nicht »durch den Rost fallen« konnte. »Wenn du halbwegs mitschwimmst, deine Schulabschlüsse machst, dann geht’s schon irgendwie«, lautete damals unsere Überzeugung. Uns schienen alle Türen offenzustehen, ganz gleich, ob man Philosophie studierte, Florist lernte oder eine Druidenschule besuchte. Sandra bringt dieses Lebensgefühl so auf den Punkt: »Wieso sollte man, wenn man einigermaßen was draufhat, es nicht hinbekommen?«
    In den Achtzigern hatten wir zwar viel Angst: Angst vor dem Ausbruch eines Atomkriegs, Angst vor dem Waldsterben, Angst vor dem sauren Regen. Duran Duran besang die Apokalypse, und wir waren überzeugt, »No future« zu haben. Aber diese Zukunftsangst bezog sich auf äußere Faktoren: auf Umweltzerstörung und Wettrüsten. Dass unser eigenes, ganz privates Leben von innen heraus bedroht sein könnte, weil das »Modell Deutschland« außer Balance zu geraten drohen würde, damit rechneten wir damals nicht.
    Ich hatte in den achtziger Jahren nicht die Sorge, dass ich für die nähere Zukunft mit einem Philosophiestudium wirtschaftlich möglicherweise nicht optimal gerüstet sein könnte. Ich konnte mich ganz dem hingeben, was ich als die Entfaltung meiner Persönlichkeit ansah, weil ich mich – trotz aller allgemeiner globaler Zukunftsangst – in Deutschland in meiner Existenzsicherung nie gefährdet sah. Deshalb war mein Lebensentwurf auch nicht riskant, sondern nur Ausdruck meiner historischen Naivität, der Überzeugung, dass mein schönes Innenleben mich durch eine Zukunft tragen würde, die ich mir als ewige Fortsetzung der Gegenwart vorstellte.
    Heute ist das anders. Mein vierzigjähriger Kollege Erich konnte nach dem Abitur seine Studienwahl, genau wie ich, völlig frei treffen. Doch eine von jeglichen Wirtschaftserwägungen freie Studienwahl wollen er und seine Frau ihren Kindern nicht zugestehen. »Ich würde meinen Kindern nicht sagen, ihr dürft das nicht. Aber ich würde ihnen klarmachen, dass sie darüber nachdenken müssen, wie sie damit ihr Geld zu verdienen gedenken. Meine Eltern haben darüber nie mit mir gesprochen.«
    Weil es damals noch keine Notwendigkeit dafür gab. Weil das Gesellschaftsmodell, das über Jahre praktiziert worden war, noch funktionierte.
    »Der Fahrstuhl fuhr immer nach oben«
    Der französische Soziologe Pierre Bourdieu sagte über den europäischen Sozialstaat, er sei eine »Errungenschaft so unwahrscheinlich und so kostbar wie Kant, Beethoven, Pascal und Mozart«. 13
    13 taz, 25.01.2002
    Während ich Kant und Pascal studierte, sind mir die unwahrscheinlichen Klänge des Sozialstaats entgangen. Ja, natürlich: Die Busse fuhren über glatte Asphaltflächen, die Uniklos wurden immer mal wieder renoviert, aus dem Wasserhahn kam Wasser, mein selbstverwirklichendes Studium war kostenlos, meine Arztbesuche ebenfalls. Hätte ich den Baggersee nicht vorgezogen, hätte ich jederzeit ins Schwimmbad gehen können. Besuche im subventionierten Theater konnte ich mir ebenso leisten wie einen Ausweis der städtischen Bibliothek. Als Halbwaise bezog ich bis zu meinem 27. Lebensjahr eine komfortable Rente. Diese Gegenwart, diese Welt erschien mir nie als Errungenschaft, im wörtlichen Sinne: Ich wusste nicht, dass sie errungen worden und also gemacht

Weitere Kostenlose Bücher