Genesis. Die verlorene Schöpfung (German Edition)
blickte Anna zur Seite. Einschussgarben an den Wänden zeigten noch deutlich die Spuren früherer Kämpfe. Die Stelle kannte sie noch von vor dem Start, auf dem Weg zu ihrem Kryobett hatte sie diesen Ort kurz nach einem schweren Feuergefecht zwischen Irenes Drohnen und Hennessys Sicherheitsoffizieren passiert. Ein Kampf, den niemand gewonnen hatte, nur inzwischen lag hier niemand mehr. Weder Leichen noch die zerschossenen Roboter. Sogar das Blut war weg. Jemand hatte gründlich aufgeräumt.
»Hör mich jemand?«, rief Anna, ohne jedoch eine Reaktion wahrnehmen zu können. Ihr Zustand besserte sich nicht, sie hatte immer noch kaum Gefühl in den Beinen, und wenn sie nicht bald einen Kaffee bekommen würde, dann - sie stoppte den Gedanken. Na dann nicht, dachte sie und stolperte weiter. Eine Treppe und vierzig Meter Flur in knapp fünfzehn Minuten, sie kam der Kommandozentrale näher.
»Das ist keine Übung. T - 23 Stunden 13 Minuten. Begeben Sie sich sofort zu Ihren Notausstiegspositionen. Das ist keine Übung!« , tönte es abermals aus den Lautsprechern, wie bereits alle zwei Minuten zuvor. Anna konnte es nicht mehr hören.
Die Farben der ehemals weißen Kunststoffabdeckung wirkten ausgelaugt. Sogar die metallischen Werkstoffe zeigten teilweise oxidierte Oberflächen. Solche Reaktionen waren normalerweise erst nach sehr vielen Jahren möglich. Die geplante Zeit für die Reise zum Proxima Centauri System würde dafür kaum ausgereicht haben. Es gab allerdings keinen Staub, die Klimaanlage schien also noch zu arbeiten, dort wurde normalerweise bei der Atemluftaufbereitung der Staub aus der Luft gewaschen. Wobei die deutlich zu niedrige Temperatur eigentlich nicht auf einen fehlerfreien Betrieb der Anlage hinwies.
Anna ging langsam weiter und würde die Kommandozentrale gleich erreichen. Vor ihr lag ein gläsernes Sicherheitsschott, das sich allerdings von selbst öffnete, als sie in die Nähe kam. Früher musste man sich an der Stelle identifizieren, was die Sicherheitstür inzwischen nicht mehr zu interessieren schien.
Sie war in der Kommandozentrale angekommen. Kein Mensch weit und breit. Von den Displays funktionierte höchstens noch ein Drittel und sogar diese Systeme sahen bereits stark verschlissen aus. Mehr als einen Bildschirmschoner zeigten sie nicht mehr an. Die schwarzen Verbundstoffplatten an der Decke hatten zahlreiche feine Risse und hingen teilweise nur noch lose an den Halterungen. Was sie aber alles nicht störte, zielstrebig ging sie zu einer Kaffee- und Getränkemaschine an der Seite.
»Mist!«, rief sie enttäuscht, es wäre auch ein Wunder gewesen, wenn ausgerechnet die Kaffeemaschine noch funktionieren würde. »Ich will einen Kaffee!«
***
XXXII. T - 22 Erkennen
Anna blieb einige Minuten stumm in der Mitte der Kommandozentrale der Horizon stehen. Sie musste unbedingt Flüssigkeit zu sich nehmen, ihr war schwindelig. Was sollte sie hier? Von den Flugoffizieren war niemand anwesend. Auch von den mehrfach vorhandenen Navigations- und Steuerungssysteme n machte keine KI irgendwelche Anstalten, auf sie zu reagieren. Wer hatte sie gerufen? Wenn das ein Scherz sein sollte, dann ein ziemlich schlechter. Die Szenerie wirkte verloren, normalerweise bot dieser Raum Platz für bis zu zwölf Flug- und Systemoffiziere, von denen in diesem Moment allerdings auch nur drei einen funktionstüchtig erscheinenden Arbeitsplatz gehabt hätten.
»Hallo?!« fragte Anna vorsichtig. Obwohl, gab es einen Grund, zurückhaltend zu sein? Eigentlich nicht. »HALLO, HÖRT MICH HIER JEMAND?«
Die Lautstärke machte keinen Unterschied. Anna ging zu Favellis Platz und ließ sich in der Mitte der Kommandozentrale in den grauen Kapitänssessel fallen, den sie von früher allerdings auch deutlich heller in Erinnerung hatte. Angeblich hatte der Kapitän noch vor dem Start sein Leben verloren. Der Gedanke beschäftigte sie, denn wenn sie nun offiziell das Kommando hatte, musste es nicht nur ihn, sondern auch Peter Hennessy erwischt haben. Anna war die Nummer drei der Befehlskette an Bord. Und sogar noch suspendiert, eine der letzten Taten Favellis war gewesen, sie ihres Kommandos zu entheben.
Diese mörderischen Drecksdrohnen, dachte sie und spielte dabei gedankenverloren mit einem Jogshuttle-Controller, der in der rechten Lehne von Favellis Sessel integriert war. Was aber auch nichts brachte. Aus der Ferne konnte sie nach wie vor nur die sich ständig wiederholende Evakuierungsdurchsage hören. Ansonsten waren
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