Genesis. Die verlorene Schöpfung (German Edition)
Haare, indianische Wurzeln und einen bayrischen Akzent. Aysegül, die Vierte im Bunde ihres kleinen Teams würde erst am nächsten Tag an Bord kommen.
»Hallo Anna«, antwortete Sequoyah, ohne sich von ihrem Arbeitsplatz herumzudrehen. Das Labor war ein fensterloser Raum mit vier Schreibtischen und unzähligen Monitoren an den Wänden. »Deinen Schützlingen geht es gut. Sie haben den Transport in dieser Höllenkanone gut überstanden.« Scheinbar hatte auch Sequoyah im Space Lift keinen Spaß gehabt.
»Martin, wie sehen die Werte aus?«, fragte Anna erneut, da er noch nicht auf sie reagiert hatte.
»Ja, ja ... warte ... ich hab‘ es gleich ... alle Werte innerhalb der Toleranzen. Die Enzephalographie [6] zeigt nur bei Elias erhöhte Werte an«, erklärte Martin bemüht. »Ok ... und seine Körpertemperatur ist leicht erhöht ... aber nichts Wildes.«
»Er träumt mehr als die anderen ... auch wenn sie künstlich entstanden sind, es sind immer noch Menschen.«
»Ja, ja ... klar ... wusste ich doch.«
»Martin, gib mir eine Visualisierung von Elias' Träumen auf meine Iris. Ich schau mir das an.«
»Das kostet mehr als 80 % Rechenleistung unserer Systeme. Meine Analyse-Routinen dauern dann ewig!«, meckerte er. »Unser System leistet nur 24 ExaFLOPS [7] . Das ist eh ein Witz!« Durch die Abschottung der Replikanten Forschung von den anderen Computern der Horizon konnten sie sich für ihre Lastspitzen keiner freien Kapazitäten anderer Abteilungen bedienen.
»Schalte deine Routinen Stand-By! Gib mir Elias' Visualisierung! Mach frei! Und nimm Sequoyah mit. Los jetzt!«, ordnete Anna an und ließ sich entspannt auf ihrem Schreibtischstuhl nieder. Die Visualisierung von Gehirnströmen benötigte viel Leistung. Im Institut in Düsseldorf hatten sie genug davon, an Bord der Horizon waren Computer hingegen wertvolle Ressourcen.
»Ich will euch erst morgen wieder sehen!«
»Danke«, sagte Sequoyah, wie immer geistesgegenwärtig, und zog den quengelnden Martin hinter sich her. Natürlich konnte Anna nicht von ihr verlangen, dass sie Martin einmal dranlassen würde, aber er würde sich sicherlich danach entspannter zeigen.
»Kommunikation stumm schalten.« Mit beiden Fingern am Hals sorgte Anna für ein störungsfreies Ambiente. »Die Visualisierung des Replikanten Elias als Irisprojektion auf meine Augen rendern.«
Die Gedankenwelt einer anderen Person zu erfahren, war ein prinzipiell verwirrendes Erlebnis. Weniger für die Menschen, die ihre Gedanken offenbarten, als mehr für die, die an Gedanken anderer teilhaben wollten. Die Technologie wurde daher selten genutzt, privat oder kommerziell war sie sogar komplett verboten. Drei von fünf Empfängern zeigten bereits nach nur einer Visualisierung schwere physiologische Störungen. Als ob sie verlernten, ihren eigenen Körper zu beherrschen. Die anderen zwei bekamen sofort starke Kopfschmerzen und mussten abbrechen.
Annas Erfahrung hatte sie gelehrt, dass man nur mit einer starken empathischen Bindung die Gedanken anderer Menschen erleben durfte. Wie eine Mutter, die nach ihren Kinder sah. Allerdings blieb sie trotz jahrelanger Konditionierung die Einzige im Team, die diese Spielerei ohne Nebenwirkungen verkraftete.
Eigentlich war die Visualisierung von Hirnströmen ein Abfallprodukt. Die Forscher hatten damit früher das Ziel verfolgt, Erinnerungen zu übertragen, bis hin zu der Vision, eine komplette Persönlichkeit eines lebenserfahrenden Menschen auf einen jugendlichen Klon übertragen zu können. Eine für reiche und alte Menschen begehrenswerte Technologie - die sich allerdings aus ethischen Motiven verbot - da die Persönlichkeit des Empfängers dabei komplett ausgelöscht werden würde. Auch im 23. Jahrhundert gab es Grenzen. Klone gab es nicht. Und auch keine Milliardäre, die ewig lebten.
»Das Rendering ist vorbereitet. Schalte Elias' Visualisierung auf Irisprojektion«, sagte die Stimme des Steuerungscomputers kurze Zeit später.
Elias sprang ins Wasser. Alles war blau. Frei und wunderschön. Anna konnte sich vorstellen, dass Elias den Traum genoss. Es war immer wieder schön, bei ihm zu sein. Von allen Replikanten kannte sie ihn am besten. Er würde später intelligent, sozial empfindsam und unbedingt loyal sein. Niemals würde er Freunde in Not zurücklassen, Befehle und erteilte Aufgaben abbrechen oder zu seinem Eigennutz abwandeln.
Elias tauchte tiefer und blickte prüfend nach oben, die Öffnung in der Eisdecke befand sich nur wenige
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