Genesis. Die verlorene Schöpfung (German Edition)
Impulse-Triebwerke hätten zwar auch genug Schub für einen Atmosphärenstart geliefert, nur die Energiemenge, um über drei Millionen Tonnen Schiffsmasse aus dem Gravitationsfeld der Erde zu bringen, hätte Erdbeben von biblischen Ausmaßen bewirkt und nebenbei vermutlich den halben afrikanischen Kontinent entvölkert.
Anna schmunzelte - die Horizon sah im Moment noch gar nicht aus wie ein Raumschiff. Es war mehr ein Netz aus Gängen, Modulen und Laderampen, an denen acht Space Lifts ständig weitere Menschen und Fracht an Bord nahmen. Im ausgefahrenen Lademodus glich die Horizon eher einer gigantischen Raumstation. Die Daten aus dem Briefing hatte sie nicht vergessen. Im offenen Zustand war die Horizon 2421 Meter lang, 230 Meter breit und 62 Meter hoch. Menschen, Proviant, Tiere, Saatgut, Wasser, Technik - alles was man in einer fremden Welt benötigte, wurde verladen. Die größte Maschine, die je durch den Menschen gebaut wurde, zehnmal größer als die letzten großen Tanker oder Flugzeugträger des 21. Jahrhunderts. Acht Jahre Bauzeit wurden benötigt, sie war das Erste von drei Raumschiffen der Hope-Klasse. Die Sunrise würde in fünf Jahren folgen, der benachbarte Rohbau wirkte aber noch unspektakulär. Der Bau der Inspiration hatte hingegen noch nicht begonnen.
Ein gutes Stück abseits lag das Kernstück der Horizon, der Gravitationsantrieb. Das Werk ihres Vaters. Noch war diese Einheit nicht mit dem Hauptschiff verbunden. Später würde eine zwölf Kilometer lange Energiekupplung beide Teile verbinden. Kritiker bezeichneten den Gravitationsantrieb auch als Schwarzes Loch für unterwegs. Was nicht ganz unberechtigt war. Der Prototyp, den ihr Vaters konstruiert und der in der Mojave-Wüste ein vierhundert Meter tiefes Loch hinterlassen hatte, war nur wenige Mikrometer groß gewesen. Der Antrieb der Horizon maß im Durchmesser 920 Meter - im inaktiven Zustand - wegen der latenten Gefahr für die Erde, durften Gravitationsantriebe erst nach Verlassen des Sonnensystems gezündet werden.
»Andockvorgang abgeschlossen. Sie dürfen die Kabine verlassen. Willkommen an Bord der Horizon.«
Anna drückte sich von der Glasscheibe ab, schwebte durch die Kabine und drückte auf den Knopf für die Druckschleuse. Sie hatte lange genug über die beeindruckende Technik der Horizon sinniert. Es zischte, ein Leuchtsymbol wurde grün und sie öffnete die Tür. Martin sah ihr dabei nur leidgeplagt zu. Über der Einstiegsluke befand sich ein kurzer Schacht, den sie ebenfalls schwebend durchquerte. Alle Wände waren mit weißen Kunststoffplatten verkleidet. Über dem Schacht befand sich eine weitere Druckschleuse und davor ein breiter und im Moment noch nutzloser Gitterrost.
»Major, im Namen der Besatzung freue ich mich, Sie begrüßen zu dürfen. Willkommen auf der Horizon« Eine junge Frau salutierte vor ihr schwebend im Raum, an ihrer Uniform sah Anna, dass sie zum Sicherungsteam gehörte. Bei dem respektvollen Gruß wurde ihr zudem bewusst, dass sie als Oberstabsärztin den dritthöchsten Rang an Bord hatte. Und das, obwohl sie nicht militärisch ausgebildet war. Nur der Kapitän und der erste Offizier standen über ihr.
»Danke«, antwortete Anna und griff nach einer Haltestange.
»First Lieutenant Breuer?«, fragte die junge Offizierin unsicher, die hatten sogar Martin einen militärischen Rang gegeben.
»Der kämpft noch mit den Widrigkeiten der Schwerelosigkeit«, antwortete Anna amüsiert.
»Ich sehe nach ihm.« Doch bevor die hilfsbereite junge Frau im Schacht verschwinden konnte, tauchte Martin auch schon auf. Etwas derangiert. Wie üblich. »Alles in Ordnung?«
»Ja, ja ... mir geht es gut«, erklärte er sichtlich gestresst.
»Ich hoffe, Sie hatten eine gute Reise. Bitte halten Sie sich fest. Ich aktiviere die künstliche Schwerkraft.«
Anna hatte ihre Kabine bezogen. Vierundzwanzig Quadratmeter Privatsphäre mit Panoramaaussicht auf das Schiff und den blauen Planeten. Das war nicht viel, aber an Bord eines militärisch geführten Expeditionsraumschiffes purer Luxus. Nur sie und der Kapitän hatten ein eigenes Bad.
»Der Erste Offizier wünscht Major Sanders-Robinson zu sprechen. Bitte koppeln sie ihre Kommunikationseinheit«, meldete eine Stimme über den Zimmerlautsprecher.
»Verbindung zur Bord-Kommunikation aufbauen. Priorität für Kapitän, Ersten Offizier und Martin festlegen. Alle anderen, die mich sprechen wollen, zuerst zu Martin schalten.« Mit beiden Fingern am Hals klinkte Anna sich ein.
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