Genesis Secret
Savary. Er konnte sich vorstellen, wie auf dem Balkon am einen Ende des Saals Spielmänner für den am anderen Ende des Raums schlemmenden Fürsten aufspielten.
Doch was befand sich tatsächlich am anderen Ende? Die Polizei hatte dort einen großen Wandschirm aufgestellt.
Forrester ging dem Professor auf den knarrenden Bodendielen voran. Je näher sie dem Schirm kamen, desto geräuschvoller wurden ihre Schritte. Allerdings knarrten sie nicht mehr, sondern schmatzten. Das lag daran, merkte de Savary, dass sie in Blutlachen traten. Der Parkettboden klebte von Blut.
Forrester schob den Wandschirm beiseite, und de Savary stockte der Atem. Vor ihm stand ein tragbares Fußballtor. Ein Holzrahmen, der vom Sportplatz auf einem Wägelchen in den Saal geschoben worden war. Zwischen den zwei Pfosten und der Latte war mit Lederriemen ein Mann festgebunden. Oder genauer: was von dem Mann übrig war. Das nackte Opfer war mit dem Kopf nach unten an den Fußgelenken aufgehängt worden. Die zur Seite gestreckten Arme waren mit Riemen an die Pfosten gebunden.
Er war gehäutet worden. Bei lebendigem Leib, wie es schien, sehr langsam und gewissenhaft, die Haut abgezogen oder abgeschabt, Streifen für Streifen, qualvoll Hautlappen für Hautlappen. Das rohe Fleisch war nirgendwo mehr von Haut bedeckt, nur an manchen Stellen war es noch von gelblichen Fettbatzen überzogen; manchmal war jedoch auch dieses Fett weggeschabt worden, sodass nackte rote Muskeln darunter zum Vorschein kamen. Teilweise waren sogar Organe und Knochen zu sehen.
De Savary legte den Zeigefinger an seine Nase. Er konnte die Leiche riechen, die Muskeln und das glänzende Fett. Er konnte die im Todeskampf verkrampften Nackenmuskeln sehen, die grauen und weißen Lungen, die gekrümmten Konturen des Brustkorbs. Es war wie eine Darstellung der Muskeln und Sehnen des menschlichen Körpers in einem Biologiebuch. Die Genitalien fehlten, natürlich. Wo Penis und Hoden hätten sein sollen, war eine dunkle scharlachrote Höhle. De Savary vermutete, dass sie dem Opfer in den Mund geschoben worden waren. Wahrscheinlich hatte man es gezwungen, sie zu essen.
Er ging um die Leiche herum. Es sah nach dem Werk von mehr als einer Person aus. Um dergleichen so gründlich zu vollziehen, ohne das Opfer auf der Stelle zu töten, waren Sorgfalt und Können erforderlich. Wenn man einen Menschen sachgemäß häutete, konnte er noch stundenlang am Leben bleiben, während Muskeln und Organe langsam austrockneten und schrumpelten. Manchmal wurde das Opfer wahrscheinlich vor Schmerzen ohnmächtig, vermutete de Savary, aber es gab Möglichkeiten, es wieder zu sich bringen, bevor man weitermachte. Er wollte sich den Tathergang nicht vorstellen. Aber er musste es: wie der verängstigte Hausmeister hereingebracht und mit dem Kopf nach unten an der Querlatte aufgehängt worden war und ihm dann die Arme an den beiden Pfosten festgeschnallt wurden. Wie eine kopfstehende Kreuzigung.
Und dann - de Savary stellte es sich vor - das unbeschreibliche Entsetzen, das sich des Opfers bemächtigt haben musste, als es merkte, was die Männer vorhatten: das anfängliche zaghafte Kratzen auf der Haut an den Knöcheln oder Füßen. Dann der sengende Schmerz, als die Haut abgezogen wurde, sodass das rohe Fleisch Kälte und Hitze ausgesetzt war. Wenn es von irgendetwas berührt worden war, musste der Schmerz buchstäblich unerträglich gewesen sein. Er musste wie am Spieß geschrien haben, als sich die Männer wie erfahrene Schlachter seinen zitternden, zuckenden Körper hinuntergearbeitet und einen Balg aus seiner Haut gemacht hatten. Vielleicht hatte er irgendwann so laut geschrien, dass sie ihm die Genitalien abgeschnitten und die Handvoll aus blutigem Fleisch in seinen brüllenden Mund gestopft hatten, um ihn zum Schweigen zu bringen.
Dann die Hauptarbeit: der Oberkörper, die Arme. Technisch ziemlich anspruchsvoll. Um es richtig hinzubekommen, mussten sie es vorher geübt haben: an Schafen, Ziegen, vielleicht auch Katzen.
De Savary wandte sich schaudernd ab.
Forrester legte dem Gelehrten den Arm um die Schulter. »Ja, tut mir leid.«
»Wie alt war er? Es lässt sich schwer erkennen, wenn … keine Haut mehr auf dem Gesicht ist.«
»Mitte vierzig«, sagte Forrester. »Sollen wir wieder nach draußen gehen?«
»Bitte.«
Der Inspector ging voran. Sobald sie im Freien waren, steuerten sie auf eine Gartenbank zu. De Savary war froh, sich setzen zu können. »Einfach ungeheuerlich«, murmelte er.
Die Sonne
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