Genom
wussten.
Aber wie sollte sie es herausfinden?
Wenn es auch nicht offenkundig illegal war, so ließ das Vorhandensein dieses Geräts in Cara Gibsons Kopf doch zweifelhafte Aktivitäten vermuten. Die Tatsache, dass es dem Mädchen anscheinend nicht geschadet hatte, reichte nicht aus, um seine Existenz zu ignorieren – erst recht jetzt nicht, nachdem sie die Zusammenfassung des Labors gehört hatte. Als Ärztin war Ingrid eher an dem Warum als an dem Wie interessiert. Falls sie die Anomalie weiter untersuchte, sollte doch zumindest eine interessante Abhandlung dabei herausspringen. Ob ihr jemand gewisse Schlussfolgerungen abnahm und die Veröffentlichung in einem Wissenschaftsmagazin genehmigte, das stand noch auf einem ganz anderen Blatt.
Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus glich das, was siesoeben gesehen und vom Labor zu hören bekommen hatte, einer kommerziellen Sendung, in der über die Sichtung einer fliegenden Untertasse berichtet worden war. Und was die tatsächlichen Aufzeichnungen des Labors betraf, so ließen sich diese relativ einfach fälschen. Ein so wenig ausführlicher und detaillierter Bericht wie der vorliegende war den Fälschungsversuch zwar kaum wert, doch wenn sie damit an die Öffentlichkeit ging, konnte sie nicht verhindern, dass ihn Spötter gleich mehrerer lächerlicher Behauptungen bezichtigten.
Sie überlegte, ob sie Rajeev davon erzählen oder mit anderen Kollegen, mit denen sie weniger engen Kontakt hatte, darüber sprechen sollte, doch sie konnte sich die Reaktion sehr gut vorstellen.
»Hi, Steve, hi LeAndra. Ich habe dieses Stück verzögerte Quantenverschränkung aus Nanomaschinenteilen, die teilweise aus metastabilem, metallischem Wasserstoff bestanden, aus dem Schädel eines fünfzehnjährigen Mädchens entfernt, und ich würde gern eure Meinung dazu hören. Dummerweise wurde es quantenverschränkt, sodass es hier jetzt nicht mehr existiert, doch es war da, als ich es erstmals untersucht habe. Aber lasst euch davon nicht aufhalten.«
Ja, klar.
Es war offensichtlich, dass sie die Entdeckung (oder die Halluzination) genauer untersuchen musste, bevor sie jemandem davon erzählen konnte. Erst wenn sie sich ihrer Erkenntnisse völlig sicher war und etwas Konkreteres vorweisen konnte, um sie zu untermauern, würde sie das Risiko eingehen und mit anderen darüber sprechen. Wenn sie beispielsweise davon überzeugt war, dass sie nicht das Ziel eines ausgeklügelten, aber trotzdem wissenschaftlich beeindruckenden Schabernacks bisher nicht identifizierter Kollegen geworden war.
Da sie sich nun im Reich der Inkongruenz bewegen musste, wollte sie mit dem Offensichtlichen anfangen: Sie würde ihre vermeintlich unwissende Patientin nach dem Namen, der Art und dem Aufenthaltsort der Person befragen, die das anscheinend einfache Federmeld bei ihr vorgenommen hatte. Aber sie hatte keine Ahnung, wo das hinführen sollte.
Möglicherweise landete sie bei einem Hersteller winzig kleiner Maschinen, die in der bekannten physikalischen Realität keine rationale Existenzberechtigung besaßen.
4
»Hey, alter Mann!«
Napun Molé stützte sich auf seinen Gehstock, drehte sich langsam um und sah in die Richtung, aus der die freche Stimme gekommen war. Er war klein, sein weißes Haar, das zunehmend dünner wurde, sah fransig aus, und er wirkte deutlich älter als der rundliche kleine Mischling von Ende fünfzig, der er war.
»Entschuldigung … wie bitte?« Er hob die Hand, die nicht den Gehstock festhielt, und deutete seitlich auf seinen Kopf. »Meine Ohren …«
Der Wachmann verdrehte die Augen und kam näher. »Ich wollte sagen, dass dies ein Sperrgebiet ist, alter Mann.« Er deutete auf das mittelgroße Frachtschiff, das mit automatisch zusammengefalteten Segeln an dem dunklen Dock lag. »Was haben Sie mitten in der Nacht überhaupt hier draußen zu suchen?«
»Mitten in der Nacht?« Nachdenklich legte sich Molé die zittrigen Finger an die Lippen. »Ist es schon so spät? Ich dachte … ich dachte …« Er sah sich um und blinzelte. »Ich muss mich von der Gruppe entfernt haben. Wir sind mit der Seilbahn hergekommen und dann …«
»Sie haben sich verlaufen, alter Mann.« Die häufig restaurierte Seilbahn aus dem neunzehnten Jahrhundert, mit der die Touristen und Bürger noch immer von der Klippenspitze von Valparaiso zum Hafen herunterkamen, lag einige Kilometer weiter südlich. Der Tonfall des Wachmanns klang jetztsanfter. »Ich möchte wetten, dass Ihr Reiseführer oder einer Ihrer
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