Genosse Don Camillo
und verschwand, weil die Konfusion und das Stimmengewirr
und die Wärme und der Wodka und der Kognak und der Zigarettenrauch so eine
Stimmung geschaffen hatten, wie sie spät abends am Stammtisch herrscht. Aber
als der Präsident wieder zum Vorschein kam, fiel es allen auf, weil der Schrei,
den der Genosse Salvatore Capece ausstieß, unmenschlich tönte.
»Eine Gitarre!«
Die Kolchose Tifiz hatte keinen
brauchbaren Traktor, aber sie besaß eine brauchbare Gitarre. Zudem verfügte sie
auch über eine Handharmonika samt dem zugehörigen Spieler.
Während der Genosse Capece die
Gitarre stimmte, begann der Bursche, der im Gefolge des Präsidenten der
Kolchose gekommen war, einen Marsch zu spielen.
Auf einmal ließ etwas irgendwie
Magnetisches den harten und stummen Genossen Tavan jede Zurückhaltung aufgeben.
Er sprang auf die Füße und zum Burschen hin, riß ihm die Harmonika weg und
legte einen Akkord hin, der alle zum Verstummen brachte.
Dann stimmte er den »Flug der
Hummel« an und hernach eine Mazurka, und seine Ohren schienen deutlich kleiner
zu werden, so gut spielte er.
Zwei Minuten später war der
Saal voller Leute, von alt und jung, von Burschen und Mädchen. Niemand fehlte.
Der Genosse Salvatore Capece
war bald im Schuß, und während der Genosse Tavan die Begleitung besorgte,
stimmte der Capece »O sole mio« an mit einer Stimme, die alles enthielt: vom
Vomero zum Posillipo, von der Zi'Teresa zu Funicoli-Funicolà, vom Mond im Meere
bis zum Elend des Südens.
Wenn er nicht Zugaben bewilligt
hätte, wäre er zerrissen worden. Er sang noch zwei-, drei-, zehnmal, und der
Genosse Scamoggia schäumte vor Wut, weil die Augen des Genossen Salvatore
Capece keine Sekunde jene der Genossin Nadia Petrowna freiließen, die wie
verblödet dasaß.
Dann holte der Genosse Tavan
wieder aus und stimmte eine höllische Polka an, und der Saal ward zur Hölle.
Tischtuch, Tischplatten, Gestelle, alles verschwand. Wer trinken wollte, mochte
sich aufs Büro der Kolchosenverwaltung bequemen; dort gab es einen
Schreibtisch, der Wodkaflaschen und Gläser trug, soviel man wollte.
Alle tanzten – außer Don Camillo, der diesem entsetzlichen Schauspiel
nicht beiwohnen wollte und sich deshalb ins Büro der Verwaltung zurückgezogen
hatte, wo er dem Wodka und dem vergilbten Lenin an der Wand Gesellschaft
leistete.
Der Genosse Salvatore Capece
legte die Gitarre weg und tanzte mit der Genossin Nadia und ließ sie nicht die
geringste Sekunde aus, so daß Peppone, der ihr etwas Wichtiges mitzuteilen
hatte, ihm die Genossin Nadia aus den Armen reißen mußte.
»Genossin«, sagte Peppone
abseits in einer Ecke zu ihr, »sich nach getaner Arbeit anständig zu vergnügen,
ist erlaubt. Wer, wie der Genosse Camillo Tarocci, nicht am gemeinsamen
Vergnügen teilnimmt, ist kein guter Genosse und verdient eine Strafe .«
»Einverstanden«, erwiderte
Nadia Petrowna. »Der Genosse Tarocci«, kam Peppone auf sein Thema zurück, »hat
das Zeug zu einem Leiter, aber in seinen vier Wänden leitet alles seine Frau.
Eine schreckliche Frau mit einem reaktionären Gehirn und von einer
entsetzlichen Eifersucht! Jetzt ist er hier, Tausende von Kilometern fern
seiner Frau, und doch fürchtet er sich zu tanzen. Er muß tanzen !«
Fünf Minuten später überflutete
eine Gruppe entfesselter Mädchen das Büro »Wodka und Verwaltung«. Don Camillo
wurde von seinem Stuhl gehoben, in den Saal geschleppt und mußte tanzen.
Peppone genoß den Anblick, und
kaum wurde Don Camillo vom schönsten und losesten Mädchen der Gruppe
umschlungen, gab er ein Zeichen, und der Elektronenblitz des Genossen Vittorio
Peratto, eines Turiner Fotografen, schnappte zu.
Ein-, zwei-, drei-, zehn-,
zwanzigmal, weil alle die verrückten und verteufelten Weiber fotografiert
werden wollten, während sie Don Camillo in den Armen hielten!
»Genosse«, sagte Peppone zum
Fotografen, als das Filmröllchen fertig war, »für diese Fotos bürgst du mir mit
dem Leben !«
Es gab eine kleine Pause, um
den Saal zu lüften. Aber das tat dem Getümmel keinen Eintrag, weil der Genosse
Vittorio Peratto die Stimmen aller Haustiere bis zur Vollkommenheit nachmachte,
der Genosse Friddi Li, Sizilianer, sich mit einer sechs oder sieben Zentimeter
langen Mundharmonika produzierte, der Genosse Curullu, Sarde, einen
Betrunkenen, der seinen Schlüssel ins Schlüsselloch zu stecken versucht,
vortäuschte, der Genosse Gibetti, Toskaner, mit der Kopfstimme eine Opernarie
sang, und zuletzt der Genosse
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