George, Elizabeth
hatte die Worte wie eine
Feststellung ausgesprochen, woraus sie schloss, dass er damit seine Meinung
kundtat, womöglich sogar ein Urteil abgab. Und vielleicht machte er damit auch
klar, wo seine Loyalitäten lagen.
In angespanntem Schweigen
fuhren sie in die Charing Cross Road. Hiro Matsumoto dirigierte sie zur Ecke
Denmark Street. Dort stand ein achtstöckiges Backsteinhaus, eine Art Studentenwohnheim
namens Shaldon Mansions. Im Erdgeschoss befanden sich mehrere Läden, die sich
alle in irgendeiner Weise auf das Thema Musik spezialisiert hatten. Die
Ladenzeile zog sich über die gesamte Denmark Street hin: überall Musikinstrumente
in den Schaufenstern - Gitarren, Schlagzeuge, Blasinstrumente -, dazwischen
ein Zeitungskiosk, ein Taschengeschäft: und ein paar Cafés. Der Eingang zu den
Wohnungen lag zwischen Keira News und Mucci Bags, und als sie darauf zugingen, spürte Isabelle, wie
Lynley seine Schritte verlangsamte. Sie drehte sich nach ihm um. Er betrachtete
eingehend das Gebäude.
»Was ist?«, fragte sie.
»Paolo di Fazio.«
»Was ist mit ihm?«
»Hier ist Jemima Hastings mit
ihm hergekommen.« Mit einer Kinnbewegung deutete er auf den Hauseingang. »An
dem Abend, als sie sich kennengelernt haben. Er hat ausgesagt, dass sie mit ihm
in eine Wohnung über dem Keira News gegangen ist.«
Isabelle lächelte. »Gut
gemacht, Thomas. Dann wissen wir ja jetzt, woher Yukio sie kennt.«
Hiro Matsumoto sagte: »Dass
die beiden sich gekannt haben, bedeutet noch nicht...«
»Selbstverständlich nicht«,
erwiderte Isabelle unwirsch. Hauptsache, er machte keinen Rückzieher.
Hauptsache, er führte sie in die Wohnung seines Bruders.
Leider besaß der Cellist
keinen Schlüssel zur Wohnung seines Bruders. Aber nachdem sie auf ein paar
Klingeln gedrückt, an ein paar Türen geklopft und ein paar Fragen gestellt
hatten, landeten sie im Keira News. Isabelle wies sich aus, und der Ladenbesitzer, der
für die Bewohner Päckchen und Pakete entgegennahm und als Kontaktperson in
Notfällen fungierte, nahm einen Generalschlüssel aus einer Schublade. Es handle
sich tatsächlich um einen Notfall, hatte Isabelle ihm erklärt.
Der Mann übergab ihnen den
Schlüssel. In der Tür drehte Lynley sich noch einmal um und fragte den Mann
nach Jemima Hastings. Ob er sie gekannt habe. Ob er sich an sie erinnere. Sie
habe ungewöhnliche Augen gehabt, ein grünes und ein braunes.
Bei der Erwähnung der Augen
fiel der Groschen. Ja, sie habe in Shaldon Mansions gewohnt, in einem
Einzimmerapartment ähnlich dem, zu dem sie Zugang wünschten.
Dies bestätigte die Verbindung
zwischen Yukio Matsumoto und Jemima Hastings, wie Isabelle hocherfreut zur
Kenntnis nahm. Die Verbindung über Covent Garden herzustellen war eine Sache,
aber dass sie quasi Wohnungsnachbarn gewesen waren, war etwas ganz anderes.
Die Sache nahm Form an.
Yukios Apartment lag im
obersten Stock, wo im Gegensatz zu den hellen Räumen in den anderen Stockwerken
kleine Mansardenzimmer untergebracht waren. Man hatte so viele winzige
Wohnungen wie nur möglich unter das Dach gequetscht, und die Luft in dem engen
Flur, von dem rechts und links die Türen abgingen, war so abgestanden, dass man
meinen könnte, hier sei seit dem ersten Golfkrieg nicht mehr gelüftet worden.
In Yukio Matsumotos Apartment
war es heiß und stickig, und auf die Wände hatte jemand mit einem breiten
Filzstift lauter überlebensgroße Figuren gezeichnet. Es waren Dutzende, die
überall aus der Höhe herabblickten. Bei genauerer Betrachtung stellte sich
heraus, dass es sich um Engel handelte.
»Was in drei Teufels
Namen...«, murmelte Isabelle, während Lynley neben ihr seine Brille aufsetzte,
um die Zeichnungen näher in Augenschein zu nehmen.
Hinter sich hörte sie Hiro
Matsumoto einen tiefen Seufzer ausstoßen. Sie drehte sich um. Er wirkte
unglaublich traurig.
»Was ist das?«, fragte sie.
Der Cellist ließ seinen Blick
über die Figuren wandern. »Er glaubt, dass sie mit ihm sprechen. Die
himmlischen Heerscharen.«
»Die was?«
»Alle möglichen verschiedenen Engel«, sagte Lynley.
»Gibt es denn mehr als eine Sorte?«
»Es gibt neun.«
Und er würde sie zweifellos
aufzählen können, dachte Isabelle grimmig. Sie jedenfalls brauchte die
unterschiedlichen Kategorien der himmlischen Was-auch-immer nicht zu kennen,
und sie wollte sie auch nicht kennen. Sie wollte lediglich wissen, ob sie etwas
mit Jemima Hastings' Tod zu tun hatten, und wenn ja, was. Wahrscheinlich hatten
sie überhaupt nichts
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