George, Elizabeth
als
wäre nichts geschehen. Das können Sie sich ein für alle Mal aus dem Kopf
schlagen.«
Haie warf Lynley einen kurzen
Blick zu. Es konnte keinen besseren Polizisten und keinen anständigeren
Menschen geben als Philip Haie, dachte Lynley. Er führte jeden Befehl korrekt
aus, und genau das hatte er auch diesmal getan, was sie alle wussten.
»Irgendetwas hat ihn
erschreckt, Chefin«, sagte Haie. »Er stand da und spielte auf seiner Geige, und
ganz plötzlich ist er losgerannt. Ich weiß nicht, warum. Ich schwöre bei
Gott...«
»Ach, Sie schwören bei Gott?«
Sie schüttelte ihn. Lynley betrachtete die Hand, die sich in Haies Arm
krallte. Die Fingerspitzen waren weiß und die Haut unter den Nägeln
dunkelrosa. »Mir kommen gleich die Tränen, Philip. Reißen Sie sich zusammen,
und übernehmen Sie Verantwortung! Ich habe keine Zeit für Männer, die anfangen
zu flennen, sobald...«
»Chefin«, schaltete Lynley
sich ein. »Es reicht.«
Arderys Augen weiteten sich.
Er sah, dass sie ihren Lippenstift abgekaut hatte und dass sich wie zum
Ausgleich auf ihren Wangen zwei dunkelrote Wutflecke gebildet hatten. Ehe sie
etwas entgegnen konnte, sagte er eindringlich: »Wir müssen den Bruder finden
und ihm sagen, was passiert ist.«
Als sie den Mund öffnete, um
etwas zu sagen, fügte er hinzu: »Wir dürfen nicht zulassen, dass er es aus der
Zeitung oder aus den Nachrichten erfährt. Und auch sonst niemand darf es auf
diese Weise erfahren.« Womit er Hillier meinte, und eigentlich hätte ihr das
klar sein müssen, auch wenn sie von Dämonen getrieben war, die er zwar
erkannte, aber nicht wirklich verstand.
Sie ließ Haies Arm los.
»Fahren Sie in den Yard«, befahl sie ihm, und dann sagte sie zu Lynley: »Das
war jetzt das zweite Mal. Hiermit verwarne ich Sie.«
»Verstanden«, sagte er.
»Und es ist Ihnen auch noch
scheißegal, stimmt's?«, sagte sie, ehe sie noch einmal auf Haie losging. »Sind
Sie ein Idiot, Philip? Haben Sie mich nicht verstanden? Verziehen Sie sich in
den Yard!«
Philip Haie sah erst Ardery,
dann Lynley, dann wieder Ardery an, sagte: »Chefin«, nickte kurz und machte auf
dem Absatz kehrt. Lynley sah, wie er kopfschüttelnd zur Tür hinausging.
Ardery wandte sich an Lynley:
»Kontaktieren Sie den Bruder.« Dann begann sie, im Raum auf und ab zu gehen.
Während er die nötigen Anrufe
erledigte, beobachtete er sie und fragte sich, wann sie wohl wieder auf der
Damentoilette verschwinden würde. Er zweifelte nicht daran, dass sie dringend
einen Drink benötigte.
Doch während der vierzig
Minuten, die es dauerte, bis Hiro Matsumotos Anwältin ihren Mandanten ausfindig
gemacht und zum Krankenhaus begleitet hatte, blieb Isabelle Ardery im Wartezimmer,
und Lynley konnte nicht umhin, einen gewissen Respekt für ihre
Selbstbeherrschung zu empfinden. Sie telefonierte mit dem Yard, setzte die
Pressestelle ins Bild und übermittelte einen Bericht über die Vorfälle an AC
Hilliers Vorzimmer. Hillier würde Ardery beizeiten eine ordentliche Standpauke
halten, dachte Lynley. Es gab nichts, was der Assistant Commissioner mehr
verabscheute als schlechte Presse. Schießereien in sämtlichen Straßen Londons
konnten Hillier nicht annähernd so sehr auf die Palme bringen wie eine
Schlagzeile mit dem Wörtlaut: »Erneut brutales Vorgehen der Met!«
Als Hiro Matsumoto schließlich
eintraf, war er wesentlich gefasster als seine Anwältin, die Gift und Galle
spuckte und mit Klage drohte, womit zu rechnen gewesen war. Ihr Redeschwall
wurde erst unterbrochen, als der Arzt sich zu ihnen gesellte, der den Geiger
als Erster versorgt hatte. Der Mann sah aus wie ein Kobold mit übergroßen,
seltsam durchscheinenden Ohren und einem Namensschild, auf dem HOGG stand. Er sprach
Hiro Matsumoto direkt an. Er hatte ihn offenbar als denjenigen erkannt, der
dem Verletzten am nächsten stand. Die anderen würdigte er keines Blickes.
Eine Schulter und die Hüfte
gebrochen, lautete die erste Diagnose, was sie in Anbetracht dessen, wie
schlimm es hätte kommen können, aufatmen ließ. Doch dann sprach Mr. Hogg von
einer Schädelfraktur und einem Subduralhämaton und erklärte, dass aufgrund der
Schwere der Verletzung mit einer gefährlichen Druckerhöhung im Schädel zu
rechnen sei, was wiederum das empfindliche Gehirngewebe schädigen könne, wenn
nicht sofort Maßnahmen ergriffen würden. Man müsse Yukio Matsumoto
schnellstens einer Operation unterziehen, für die soeben Vorbereitungen
getroffen würden.
»Der Mann wird des
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