George, Elizabeth
lag. Nicht gewusst hatte sie dagegen, dass Harriman
ihre Opfer irgendwie dazu brachte, sie erstaunlich lange in guter Erinnerung zu
behalten und ihr auch noch nach Jahren bereitwillig jeden Wunsch zu erfüllen.
Bereits anderthalb Stunden
nachdem Barbara ihr Anliegen geäußert hatte, kam Dorothea zu ihr und wedelte
triumphierend mit einem Zettel. Sie habe die Eintrittskarte zum Innenministerium:
die Mitbewohnerin der Schwester eines Mannes, der Dorothea offensichtlich immer
noch verfallen war. Die Mitbewohnerin sei ein kleines Rädchen im gut geölten
Getriebe des Ministeriums. Ihr Name sei Stephanie Thompson-Smythe. »Und das ist
wirklich der Hammer«, flüsterte Dorothea dann: Sie sei liiert mit einem Kerl,
der offenbar Zugang zu sämtlichen Codes, Schlüsseln oder Zauberformeln hatte,
die notwendig waren, um die Tür zu den Personalunterlagen eines bestimmten
Polizisten aufzustoßen.
»Ich musste ihr von dem Fall
erzählen«, gestand Dorothea. Sie war offensichtlich mächtig stolz auf ihren
Erfolg und begierig darauf, sich wortreich über das Thema auszulassen, und
weil Barbara fand, dass sie ihr das schuldig war, hörte sie ihr geduldig zu,
während sie darauf wartete, endlich den Zettel in die Finger zu bekommen.
»Natürlich wusste sie davon. Sie liest ja schließlich Zeitung. Also habe ich
ihr gesagt - na ja, ein bisschen musste ich die Wahrheit schon verdrehen -,
dass eine Spur ins Innenministerium zu führen scheint, woraufhin sie gleich
dachte, dass der Übeltäter womöglich irgendwo dort sitzt und von einem der
großen Tiere geschützt wird. Wie Jack the Ripper, wissen Sie? Jedenfalls habe
ich ihr gesagt, es wäre großartig, wenn sie uns irgendwie weiterhelfen könnte,
und ich habe geschworen, dass ihr Name nirgendwo auftauchen wird. Aber, habe
ich ihr gesagt, selbst mit der kleinsten Kleinigkeit würde sie uns einen heldenhaften Dienst erweisen. Das hat ihr
anscheinend sehr geschmeichelt.«
»Ganz schön niederträchtig«,
bemerkte Barbara. Sie zeigte auf den Zettel, den Dorothea immer noch in der
Hand hielt.
»Und sie hat gesagt, sie würde
ihren Freund anrufen, was sie dann auch getan hat, und Sie sollen sich mit den
beiden am Suffragette Scroll treffen, und zwar in« - Dorothea warf einen Blick
auf ihre Armbanduhr, die wie alles an ihr zierlich und goldglänzend war -
»zwanzig Minuten.« Sie wirkte wie im Siegestaumel nach ihrem ersten
erfolgreichen Ausflug in die Unterwelt der Schnüffler und Spitzbuben. Endlich
gab sie Barbara den Zettel, auf dem eine Handynummer stand. Diese, so Dorothea,
nur für den Fall, dass irgendetwas passierte und die beiden nicht auftauchten.
»Sie sind ein Phänomen«, sagte
Barbara.
Dorothea errötete. »Ja, ich
glaube, ich habe meine Sache ganz gut gemacht.«
»Mehr als das«, erwiderte
Barbara. »Ich gehe dann mal los. Falls jemand fragen sollte, ich bin auf einer
Mission von großer Wichtigkeit für Superintendent Ardery unterwegs.«
»Und wenn Ardery fragt?«,
wollte Dorothea wissen. »Sie ist nur kurz zum St.-Thomas-Krankenhaus gefahren
und wird bald wieder zurück sein.«
»Ihnen wird schon was
einfallen«, erwiderte Barbara, während sie ihre schäbige Umhängetasche
schulterte. Dann machte sie sich auf den Weg zu ihrem konspirativen Treffen mit
dem potenziellen Maulwurf aus dem Innenministerium.
Das Suffragette Scroll war
nicht weit weg, weder von Scotland Yard noch vom Innenministerium. Das Denkmal
für die Bewegung gleichen Namens zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts stand
in dem kleinen Park an der Ecke Broadway und Victoria Street. Zu Fuß waren es
nur fünf Minuten bis dorthin, einschließlich der Wartezeit für den Aufzug im
Victoria Block. Also hatte sie noch Zeit, sich mit einer Dosis Nikotin zu
stärken und sich einen Plan zurechtzulegen. Nach einer Weile fielen ihr eine
Frau und ein Mann auf, die Hand in Hand in ihre Richtung schlenderten und sich
alle Mühe gaben, wie ein Liebespaar zu wirken, das sich bei einem Spaziergang
im Grünen von den Strapazen der täglichen Arbeit erholte.
Die Frau war Stephanie
Thompson-Smythe - Steph T-S, wie sie sich vorstellte -, und der Mann hieß
Norman Wright. Sein extrem schmaler Nasenrücken war ganz sicher das Ergebnis
jahrhundertelanger Inzucht unter seinen Vorfahren, dachte Barbara. Mit der
Nasenspitze hätte er Brot schneiden können.
Norman und Stephanie sahen
sich um, wie Agenten vom MI5. Stephanie sagte zu ihrem Begleiter: »Du redest,
ich peil die Lage«, und verzog sich auf eine Bank in
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