George, Elizabeth
sich Ihrem Bruder nicht genähert hat, dass Yukio
irgendetwas gesehen oder gehört oder vielleicht gespürt haben muss - wir haben nicht
die geringste Ahnung, was es gewesen sein könnte - und daraufhin die Flucht
ergriffen hat. Wie Sie selbst sagten...«
»Superintendent, das meine ich
nicht.« Matsumoto schwieg einen Moment. Um sie herum herrschte reges Treiben:
Besucher mit Blumen und Luftballons für ihre Lieben und Krankenhausangestellte,
die zielstrebig durch die Korridore eilten. Eine Leuchtanzeige an der Decke
forderte Dr. Marie Lincoln auf, sich in den Operationssaal zu begeben, und
gleich neben ihnen machten zwei Krankenpfleger unter Entschuldigungen den Weg
für einen Rollstuhl frei. Matsumoto schien all diese Eindrücke auf sich wirken
zu lassen, bevor er fortfuhr. »Miyoshi und ich haben jahrelang für Yukio getan,
was wir konnten, aber es war wohl nicht genug. Wir hatten beide nur unsere eigene
Karriere im Sinn, und es war einfacher für uns, ihn treiben zu lassen, sodass
wir uns der Musik widmen konnten. Uns um Yukio zu sorgen, hätte uns nur
belastet...« Er schüttelte den Kopf. »Wie hätten wir sonst so hoch aufsteigen
können, Miyoshi und ich? Und jetzt das. Wie konnten wir so tief sinken? Ich bin
zutiefst beschämt.«
»Dazu besteht überhaupt kein
Grund«, entgegnete Isabelle.
»Denn wenn er wirklich so
krank ist, wie Sie sagen, und auch nicht in ärztlicher Behandlung und wenn sein
psychischer Zustand dazu geführt hat, dass er etwas Unrechtes getan hat, tragen
Sie absolut keine Verantwortung dafür.«
Er ging zum Aufzug, drückte
den Knopf und sah sie an. Als sich die Türen öffneten, traten sie schweigend
ein und führen hinauf. »Sie haben mich immer noch nicht verstanden, Superintendent«,
sagte er schließlich. »Mein Bruder hat diese arme Frau nicht getötet. Es gibt
sicherlich eine Erklärung für all das: das Blut an seiner Kleidung, für
dieses... dieses Ding, das Sie in seiner Wohnung gefunden haben...«
»Dann soll er es mir in Gottes
Namen erklären«, sagte Isabelle. »Dann soll er mir erzählen, was er getan hat, was er weiß, was
wirklich geschehen ist. Sie können dabei sein, an seinem Bett. Ihre Schwester
kann ebenfalls dabei sein. Ich trage keine Uniform. Er wird nicht wissen, wer
ich bin, und Sie müssen es ihm auch nicht sagen, falls Sie glauben, dass ihn
das in Panik versetzt. Sie können auch auf Japanisch mit ihm sprechen, wenn das
die Sache einfacher macht.«
»Yukio spricht perfekt
Englisch, Superintendent.«
»Dann sprechen Sie auf
Englisch mit ihm. Oder auf Japanisch. Oder in beiden Sprachen. Es ist mir
egal. Wenn, wie Sie sagen, seine einzige Schuld darin besteht, auf dem Friedhof
gewesen zu sein, dann hat er vielleicht etwas gesehen, das uns helfen kann,
Jemima Hastings' Mörder zu finden.«
Sie hatten das gewünschte
Stockwerk erreicht, und die Aufzugtüren öffneten sich. Auf dem Flur hielt
Isabelle ihn ein letztes Mal auf. Als sie seinen Namen aussprach, hörte sie
selbst die Verzweiflung in ihrer Stimme. Er sah sie ernst an. »Die Zeit läuft
uns davon«, fuhr sie fort. »Wir können nicht auf Zaynab Bourne warten. Sie wird
mich nicht mit Yukio sprechen lassen. Wenn also, wie Sie sagen, seine einzige
Schuld darin besteht, auf dem Abney Park Cemetery gewesen zu sein, als Jemima
Hastings angefallen und ermordet wurde, heißt das, dass er sich womöglich
selbst in Gefahr befindet, denn der Mörder weiß mittlerweile aus jeder Zeitung, dass Yukio
unter Mordverdacht steht, weil er am Tatort war. Und wenn er dort war, dann hat
er wahrscheinlich etwas gesehen, und das wird er uns wahrscheinlich mitteilen.
Wozu er nicht in der Lage sein wird, wenn Ihre Anwältin erst einmal hier ist.«
Mittlerweile war sie mehr als verzweifelt. Sie redete nur noch wild drauflos,
und es spielte kaum noch eine Rolle, was sie sagte oder ob sie selbst glaubte,
was sie sagte - was sie im Grunde nicht tat -, denn ihr ging es einzig und
allein darum, dass sich der Cellist ihrem Willen beugte.
Sie wartete. Sie sandte
Stoßgebete zum Himmel. Als ihr Handy klingelte, ignorierte sie es.
»Lassen Sie mich mit Miyoshi
sprechen«, sagte Hiro Matsumoto schließlich und betrat das Krankenzimmer.
Barbara stellte fest, dass
Dorothea Harriman über verborgene Talente verfügte. Harrimans Erscheinung und
Auftreten hatte sie schon immer zu der Annahme veranlasst, dass die Sekretärin
kein Problem hatte, Männerbekanntschaften zu schließen, eine Einschätzung, mit
der sie vollkommen richtig
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