George, Elizabeth
einem
paranoiden Schizophrenen konfrontiert gewesen, daher hatte sie keine Ahnung,
was sie erwartete.
Als er schließlich sprach,
deutete er auf seinen Hals, etwa auf den Bereich, in dem sich die Wunde an
Jemimas Hals befunden hatte.
»Ich habe ihn rausgezogen«, sagte er.
»Den Haken?«, stellte Isabelle
klar. »Sie haben den Haken aus Jemimas Hals gezogen?«
»Gerissen.«
»Der Haken hat ihre Haut
aufgerissen? Hat das die Wunde schlimmer gemacht? Wollen Sie mir das sagen?« Es
passte jedenfalls zum Zustand von Jemimas Leiche, dachte Isabelle.
»Bringen Sie ihn nicht dazu zu
sagen, was Sie hören möchten«, fuhr Miyoshi Matsumoto sie an. »Wenn Sie meinem
Bruder Fragen stellen, wird er sie Ihnen auf seine Art beantworten.«
»Die Quelle des Lebens schoss
hervor wie bei Moses, als Gott ihm befohlen hat, auf einen Stein zu schlagen.
Aus dem Stein kommt das Wasser, um ihren Durst zu löschen. Das Wasser ist ein
Fluss, und der Fluss verwandelt sich in Blut.«
»Jemimas Blut?«, fragte
Isabelle. »Ist es auf Ihre Kleidung gespritzt, als Sie den Haken herausgezogen
haben?«
»Es war überall.« Er schloss
die Augen.
»Das reicht jetzt«, sagte
seine Schwester.
Sind Sie verrückt?, hätte
Isabelle am liebsten entgegnet, aber das war wohl kaum die angemessene Frage an
die Schwester eines paranoiden Schizophrenen. Sie hatte buchstäblich fast
nichts von dem Mann erfahren, nicht ein einziges Wort, das vor Gericht
verwendet werden konnte. Oder auch nur benutzt werden konnte, um eine Anklage
gegen ihn zu erheben. Oder gegen irgendjemanden. Man würde sie auslachen, wenn
sie auch nur den Versuch machte. »Warum waren Sie an jenem Tag auf dem
Friedhof?«, fragte sie.
Immer noch mit geschlossenen
Augen - und Gott allein wusste, was er hinter seinen Lidern sah - antwortete
Yukio: »Sie haben mich vor die Wahl gestellt. Beschützen oder Kämpfen. Ich habe
mich dafür entschieden zu beschützen, aber sie wollten etwas anderes.«
»Sie haben also gekämpft?
Hatten Sie einen Kampf mit Jemima?«
»Das hat er doch gar nicht
gesagt«, unterbrach Miyoshi sie. »Er hat nicht mit dieser Frau gekämpft. Er hat
versucht, sie zu retten. Hiro, sie verdreht ihm die Worte im Mund.«
»Ich versuche nur
herauszufinden, was geschehen ist«, erwiderte Isabelle. »Wenn Sie das nicht
verstehen...«
»Dann versuchen Sie, das
Gespräch in eine andere Richtung zu lenken«, fauchte Miyoshi. Sie streichelte
ihrem kranken Bruder die Stirn und fragte ihn: »Yukio, bist du auf dem Friedhof
gewesen, um die Frau zu beschützen? Bist du deshalb dort gewesen, als sie
angegriffen wurde? Hast du versucht, sie zu retten? Willst du das sagen?«
Yukio schlug die Augen auf. Er
richtete den Blick auf seine Schwester, schien sie aber nicht zu sehen. Als er
antwortete, sprach er zum ersten Mal klar und deutlich. »Ich habe sie beobachtet.«
»Kannst du mir sagen, was du
gesehen hast?«, fragte Miyoshi.
Seine Worte kamen stockend,
das meiste kam Isabelle ziemlich abstrus vor, eine Mischung aus Bibelsprüchen
und Ausflüssen seines fiebrigen Hirns. Er hatte Jemima auf der Lichtung bei
der Friedhofskapelle beobachtet. Sie saß auf einer Bank, las ein Buch und
telefonierte von ihrem Handy aus. Schließlich gesellte sich ein Mann zu ihr.
Sonnenbrille und Baseballmütze waren die einzigen Erkennungsmerkmale, die Yukio
beschreiben konnte, was wohl auf ein Viertel der männlichen Bevölkerung im Land
zutraf, wenn nicht auf der ganzen Welt. Diese Beschreibung schrie so laut und deutlich
nach Verkleidung, dachte Isabelle, dass Yukio Matsumoto sie entweder erfunden
hatte, oder aber sie hatten endlich ein - wenn auch völlig nutzloses - Bild von
ihrem Mörder. Das würde sich erst noch herausstellen müssen. Aber dann wurde
die Situation verzwickt.
Dieser Mann hatte sich mit
Jemima auf der steinernen Parkbank unterhalten. Yukio konnte nicht sagen, wie
lange dieses Gespräch gedauert hatte, aber anschließend ging der Mann weg. Und
als er ging, lebte Jemima Hastings noch, da war sich Yukio ganz sicher.
Dann telefonierte sie erneut.
Mehrmals. Yukio konnte nicht sagen, wie oft. Aber schließlich bekam sie einen
Anruf. Nach diesem Anruf stand sie auf, ging um die Kapelle herum und verschwand
aus seinem Blickfeld.
Und dann?, fragte Isabelle.
Nichts. Zumindest anfangs,
mehrere Minuten lang nicht. Dann tauchte ein Mann auf der Seite der alten
Kapelle auf, aus der Richtung, in die Jemima gegangen war. Ein Mann in
Schwarz...
Gott, warum trugen sie
eigentlich immer
Weitere Kostenlose Bücher