George, Elizabeth
diejenigen, die sich in dem Restaurant aufhielten, schlichtweg
unvorstellbar war. Niemand konnte damit rechnen, dass sich das Böse in eben
der Form präsentierte, wie es an jenem Tag geschah. Schulkinder in
Schuluniform passen einfach nicht in das Bild, das man sich von Kindesentführern
macht.
Als feststand, dass John sich
nicht länger in dem Restaurant befand und auch niemand ihn gesehen hatte,
dehnte Dresser seine Suche aus. Doch erst nachdem er in den vier
nächstgelegenen Geschäften nachgesehen hatte, wandte er sich an die Sicherheitskräfte
des Einkaufszentrums und ließ die Ladenbesitzer per Lautsprecher darüber
informieren, dass sie Ausschau halten sollten nach einem kleinen Jungen in
einem hellblauen Schneeanzug. Eine volle Stunde verging, in der Dresser die
Suche nach seinem Sohn fortsetzte, begleitet vom Geschäftsführer des
Einkaufszentrums und dem Leiter des Sicherheitsdienstes. Niemand kam auf die
Idee, sich die Überwachungsvideos anzusehen, weil zu diesem Zeitpunkt niemand
das Undenkbare denken wollte.
5
Barbara Havers hatte ihren
Dienstausweis zücken müssen, um den Constable davon zu überzeugen, dass sie
Polizistin war. Als sie sich dem Haupteingang näherte, nachdem sie endlich
hinter einem Schuttcontainer vor einer Baustelle in der Stoke Newington Church
Street einen Parkplatz für ihren altersschwachen Mini gefunden hatte, hatte er
sie angeherrscht: »Hey! Der Friedhof ist geschlossen, Madam!«
Barbara machte ihre Aufmachung
dafür verantwortlich. Mit Hadiyyahs Hilfe hatte sie es zwar geschafft, sich die
Grundlage einer jeden Garderobe zuzulegen: einen ausgestellten Rock. Aber damit
hatte es sich auch schon. Nachdem sie Hadiyyah wieder bei Mrs. Silver
abgeliefert hatte, hatte sie sich den Rock in aller Hast angezogen,
festgestellt, dass er viel zu lang war, und sich trotzdem entschlossen, ihn
anzubehalten. Dann hatte sie sich die Kette von Accessorize umgehängt, weiter jedoch keine
Verbesserungen an ihrem Erscheinungsbild vorgenommen.
»Die Met?«, fragte sie den
Constable, der sie mit offenem Mund anstarrte, ehe er sich wieder im Griff
hatte. »Da drin«, sagte er und hielt ihr sein Klemmbrett hin, damit sie sich in
die Liste eintragen konnte.
Verdammt hilfreich, dachte
Barbara. Sie steckte den Dienstausweis zurück in ihre Tasche, fischte ein
Päckchen Zigaretten heraus und zündete sich eine an. Sie wollte gerade höflich
um einen winzigen Hinweis auf die genaue Lage des Tatorts bitten, als unter
den Platanen hinter dem Friedhofszaun eine langsame Prozession auftauchte. Sie
bestand aus der Besatzung eines Notarztwagens, der Rechtsmedizinerin mit ihrer
Instrumententasche und einem uniformierten Constable. Die Sanitäter transportierten
einen Leichensack auf einer Rollbahre, die sie über den Kiesweg trugen. Dann
blieben sie stehen, um die Beine auszuklappen, und schoben die Bahre den Rest
des Weges in Richtung Friedhofstor.
Barbara ging ihnen entgegen.
»Superintendent Ardery?«, fragte sie, woraufhin die Rechtsmedizinerin mit einer
Kopfbewegung hinter sich deutete. »Halten Sie nach den Uniformierten Ausschau«,
lautete ihre erschöpfende Information. Immerhin fügte sie hinzu: »Sie können
sie nicht übersehen. Sie durchkämmen die ganze Umgebung«, um anzudeuten, dass
dort genügend Leute waren, falls Barbara noch einmal nach dem Weg fragen
musste.
Das brauchte sie nicht, obwohl
sie sich wunderte, dass sie in diesem Labyrinth den Tatort überhaupt fand. Aber
nach wenigen Minuten entdeckte sie den Turm einer Kapelle und bald darauf
Isabelle Ardery mit einem Polizeifotografen. Die beiden beugten sich gerade
über das Display einer Digitalkamera. Als Barbara auf sie zuging, hörte sie,
wie jemand ihren Namen rief. Dann erschien Winston Nkata auf einem schmalen
Pfad, der um eine von Flechten bedeckte Steinbank herumführte. Er klappte
gerade ein ledernes Notizbuch zu, in dem er, wie Barbara wusste, wunderbar
lesbare Beobachtungen in seiner unerträglich eleganten Handschrift notierte.
»Also, was haben wir?«, fragte
sie.
Er brachte sie auf den
neuesten Stand, wurde jedoch in seinen Ausführungen unterbrochen, als Isabelle
Ardery nach Barbara rief, und zwar in einem Ton, der weder Willkommen noch
Freude ausdrückte, obgleich sie selbst Barbara angewiesen hatte, auf dem
schnellsten Weg zum Friedhof zu kommen. Als Nkata und Barbara sich umdrehten,
kam Superintendent Ardery auf sie zumarschiert. Hier wurde nicht gegangen oder
geschlendert. Ihr Gesichtsausdruck war
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