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George, Elizabeth

George, Elizabeth

Titel: George, Elizabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wer dem Tod geweiht
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der Zimmerecke. Außerdem konnte man es vom Fenster aus sehen, deswegen
hatte er äußerste Vorsicht walten lassen müssen. Denn auch wenn es
unwahrscheinlich war, dass jemand ihn durch die feinen Gardinen sah, musste man
immer damit rechnen, dass der Wind sie ausgerechnet in dem Augenblick
auseinanderblies, da er gerade dabei war, sein Hemd, seine Jacke oder seine
Hose auszuwringen, und kirschfarbenes Wasser ins Becken lief. Aber er brauchte
Luft im Zimmer, auch wenn das Gefahr bedeutete. Er hatte das Fenster geöffnet,
weil er in der stickig heißen Luft kaum noch hatte atmen können, und er hatte
immerzu gehört: Du bist nutzlos für uns, wenn du dich nicht zeigst, bis er ans Fenster gestolpert
war und es aufgerissen hatte. Er hatte es in der Nacht getan, ganz sicher, in der Nacht, was bedeutete,
dass er sehr wohl Unterscheidungen zu machen wusste, und wir sollen uns nicht
gegenseitig bekämpfen. Wir sollen die Söhne der Finsternis bekämpfen. Siehst du
denn nicht...
    Er stopfte sich die Ohrstöpsel
in die Ohren und drehte die Lautstärke auf. Immer wieder hörte er sich die »Ode
an die Freude« an. Die Musik belegte so viel Raum in seinem Gehirn, dass sie
keine Gedanken zuließ, die nichts mit ihr zu tun hatten, und keine Stimmen, die
nicht zu dem Chor gehörten. Genau das brauchte er, um durchzuhalten, bis er
sich wieder auf die Straße wagen durfte.
    In der Hitze waren seine
Kleider schnell getrocknet, und das war ein Segen. So hatte er sie ein zweites
und sogar ein drittes Mal einweichen und auswaschen können. Das Wasser war
erst blutrot, dann kirschrot und schließlich so blassrosa gewesen wie
Frühlingsblüten. Um das Hemd wieder weiß zu bekommen, würde er allerdings ein
Bleichmittel benutzen oder es in die Reinigung bringen müssen, aber die
schlimmsten Flecken waren weg. An der Jacke und der Hose war überhaupt nichts
mehr zu sehen. Jetzt musste er die Sachen nur noch bügeln. Er besaß sogar ein
Bügeleisen, denn er legte großen Wert auf seine äußere Erscheinung. Er mochte
es nicht, wenn Leute sich abgeschreckt fühlten. Er wollte sie in seiner Nähe
haben, er wollte, dass sie zuhörten, und er wollte, dass sie ihn so
kennenlernten, wie er wirklich war. Aber das würde nicht passieren, wenn er
ungepflegt aussah, wenn seine Kleidung verschmutzt war, sodass man meinen
könnte, er sei arm und würde auf Parkbänken schlafen. Denn weder das eine noch
das andere war der Fall. Er hatte sich für dieses Leben entschieden. Und er
wollte, dass die Leute das wussten.
    ... andere Entscheidungen.
Eine steht jetzt vor dir. Die Not ist groß. Not führt zu Taten und Taten zur
Ehre.
    Er hatte sich entschieden. Der
Ehre wegen, nur der Ehre wegen.
    Sie hatte ihn gebraucht, und
er hatte den Ruf vernommen. Aber dann war alles schiefgegangen. Sie hatte ihn
angeschaut. Er hatte in ihren Augen gesehen, dass sie ihn erkannte, und gleichzeitig
gewusst, dass es Verwunderung war, denn es war klar, dass sie sich wundern
würde, aber es bedeutete auch, dass sie froh war, ihn zu sehen. Er war auf sie
zugegangen und hatte getan, was getan werden musste, und in dem Augenblick
hatte er keine Stimmen gehört, keinen Chor, nichts, nicht einmal die Musik aus
den Ohrstöpseln.
    Aber er hatte versagt. Überall
Blut, auf ihr und auf ihm und an ihren Händen und an ihrem Hals.
    Er war geflohen. Zuerst hatte
er sich versteckt, hatte sich mit welkem Laub abgerieben, um das Blut
abzubekommen. Er hatte sein Hemd ausgezogen und zusammengeknüllt. Er hatte
seine Jacke gewendet. Die Hose war besudelt, aber sie war schwarz, und das
Schwarz hatte das Blutrot verdunkelt, das von ihr auf ihn gespritzt war. Er
musste nach Hause, was bedeutete, dass er den Bus nehmen musste, mehr als einen
Bus, und er hatte nicht gewusst, wo er umsteigen musste, und so hatte er
Stunden gebraucht, und er war gesehen worden, war angestarrt worden, die Leute
hatten über ihn getuschelt, aber das hatte ihn nicht aufhalten können, weil...
    Noch ein Zeichen, und du
hättest es erkennen müssen. Überall um dich herum gibt es Zeichen, aber du
ziehst es vor zu beschützen, wenn du kämpfen müsstest...
    Er musste unbedingt nach Hause
und sich reinigen, damit er tun konnte, was ihm aufgetragen worden war.
Niemand, so redete er sich ein, würde einen Zusammenhang herstellen. In den Londoner
Bussen fuhren so viele unterschiedliche Leute, und niemand kümmerte sich um
irgendetwas, und selbst wenn sie aufmerksam gewesen waren und ihn gesehen und
vielleicht sogar darüber

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