George Soros: Gedanken und Lösungsvorschläge zum Finanzchaos in Europa und Amerika
Immobilienblasen zu verhindern.
Drittens müssen wir die Bedeutung des Marktrisikos neu definieren. Die Theorie der Markteffizienz postuliert, dass Märkte einem Gleichgewicht zustreben und dass Abweichungen nach dem Zufallsprinzip auftreten. Außerdem funktionieren die Märkte angeblich ohne jegliche Diskontinuität in der Abfolge der Preise. Unter diesen Bedingungen kann man die Marktrisiken mit den Risiken gleichsetzen, von denen die einzelnen Marktteilnehmer betroffen sind. Solange sie ihre Risiken richtig managen, sollten die Regulierer glücklich sein.
Die Theorie der Markteffizienz ist jedoch wirklichkeitsfremd. Die Märkte sind Ungleichgewichten unterworfen, die die einzelnen Marktteilnehmer vielleicht ignorieren, wenn sie meinen, sie könnten ihre Positionen liquidieren. Die Regulierer dürfen solche Ungleichgewichte aber nicht ignorieren. Wenn zu viele Teilnehmer auf der gleichen Seite stehen, können die Positionen nicht liquidiert werden, ohne dass dadurch eine Diskontinuität oder – noch schlimmer – ein Kollaps verursacht wird. In diesem Fall müssen die Behörden vielleicht zu Hilfe kommen. Das bedeutet, dass zusätzlich zu den Risiken, die die meisten Marktteilnehmer vor der Krise wahrgenommen haben, noch ein systemisches Risiko besteht.
Die Verbriefung von Hypothekendarlehen hat dem Systemrisiko eine neue Dimension hinzugefügt. Die Finanzingenieure behaupteten, sie würden Risiken durch geografische Diversifizierung reduzieren: In Wirklichkeit erhöhten sie sie jedoch, weil sie dadurch ein Agenturproblem schufen. Die Agenten waren mehr daran interessiert, ihre Gebühreneinnahmen zu maximieren, als die Interessen der Anleiheinhaber zu wahren. Das ist die Wahrheit, die von Regulierern und Marktteilnehmern gleichermaßen ignoriert wurde.
Um eine Wiederholung zu vermeiden, müssen die Agenten so beteiligt sein, dass für sie etwas auf dem Spiel steht. Die von der Regierung vorgeschlagenen fünf Prozent sind aber eher symbolisch als substanziell. Ich würde zehn Prozent als Mindestanforderung in Betracht ziehen. Um mögliche Diskontinuitäten von marktfähigen Papieren im Besitz von Banken zu berücksichtigen, sollten sie eine höhere Risikoeinstufung bekommen als nach dem Baseler Abkommen. Die Banken sollten dadurch für die implizite Bürgschaft bezahlen, die sie genießen, dass sie weniger Leverage einsetzen und Beschränkungen bezüglich der Art und Weise hinnehmen, wie sie das Geld ihrer Einleger anlegen. Sie sollten nicht auf eigene Rechnung mit dem Geld anderer Leute spekulieren dürfen.
Wahrscheinlich ist es unmöglich, die Investmentbanken von den Geschäftsbanken zu trennen, wie es der Glass Steagall Act ab 1933 in den Vereinigten Staaten tat. Aber es muss eine interne Mauer geben, die den Eigenhandel vom Bankgeschäft scheidet. Der Eigenhandel sollte aus dem Eigenkapital der Bank finanziert werden. Wenn eine Bank „too big to fail” ist, müssen die Regulierer mit dem Schutz ihres Kapitals vor übermäßigen Risiken sogar noch weiter gehen. Sie müssen die Vergütungspakete der Eigenhändler so regulieren, dass Risiken und Belohnungen im rechten Verhältnis stehen. Das mag den Eigenhandel aus den Banken heraus in die Hedgefonds treiben. Dort gehört er eigentlich auch hin. Auch Hedgefonds und andere Großinvestoren müssen genau beaufsichtigt werden, um sicherzustellen, dass sie keine gefährlichen Ungleichgewichte aufbauen.
Und schließlich habe ich eindeutige Ansichten über die Regulierung von Derivaten. Die vorherrschende Meinung besagt, dass sie an geregelten Börsen gehandelt werden sollten. Das reicht aber nicht. Die Emission von und der Handel mit Derivaten sollten genauso streng reguliert sein wie bei Aktien. Die Regulierer sollten darauf bestehen, dass Derivate homogen, standardisiert und transparent sind.
Maßgeschneiderte Derivate dienen nur dazu, die Gewinnmarge der Finanzingenieure zu steigern, die sie konstruieren. Tatsächlich sollten manche Derivate überhaupt nicht gehandelt werden. Ich denke dabei an die Credit Default Swaps. Betrachten sie die kürzlichen Bankrotte von AbitibiBowater und General Motors. In beiden Fällen besaßen einige Anleihebesitzer CDS und hatten durch den Bankrott mehr zu gewinnen als durch die Sanierung. Das ist, als würde man eine Lebensversicherung über das Leben eines anderen abschließen und besäße die Lizenz, ihn zu töten. CDS sind Vernichtungsinstrumente, die geächtet werden sollten.
DIE NOTWENDIGKEIT EINER FINANZREFORM NICHT
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