George Soros: Gedanken und Lösungsvorschläge zum Finanzchaos in Europa und Amerika
IGNORIEREN!
Financial Times , 25. Oktober 2009
Die Philosophie, die mir geholfen hat, als Hedgefonds-Manager Geld zu verdienen und es als politisch orientierter Philanthrop auszugeben, hat nichts mit Geld zu tun, sondern mit der komplizierten Beziehung zwischen Denken und Wirklichkeit. Der Crash 2008 hat mich zu der Überzeugung gebracht, dass sie einen wertvollen Einblick in die Funktionsweise der Finanzmärkte liefert.
Die Theorie der Markteffizienz behauptet, Finanzmärkte würden einem Gleichgewicht zustreben und alle vorhandenen Informationen über die Zukunft exakt widerspiegeln. Abweichungen vom Gleichgewicht würden durch äußere Schocks verursacht und sie würden in zufälliger Weise auftreten. Der Crash 2008 hat diese Theorie falsifiziert.
Ich behaupte, dass die Finanzmärkte immer ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit darstellen. Überdies kann sich die Fehlpreisung von Vermögenswerten auf die sogenannten Fundamentaldaten auswirken, welche diese Vermögenswerte angeblich widerspiegeln. Das ist das Prinzip der Reflexivität.
Anstatt der Tendenz zum Gleichgewicht haben die Finanzmärkte eine Tendenz zur Entwicklung von Blasen. Blasen sind nicht irrational: Es lohnt sich, mit der Meute zu laufen, jedenfalls für eine gewisse Zeit. Deshalb können die Regulierer nicht darauf zählen, dass der Markt seine Exzesse selbst korrigiert.
Der Crash 2008 wurde durch den Kollaps einer Super-Blase verursacht, die seit 1980 im Wachsen begriffen war. Sie setzte sich aus kleineren Blasen zusammen. Jedes Mal, wenn eine Finanzkrise auftrat, schritten die Behörden ein, kümmerten sich um bankrotte Institutionen, erhöhten die Geldmenge und legten Konjunkturpakete auf, wodurch sie die Blase noch weiter aufblähten.
Ich glaube, dass meine Analyse der Super-Blase Hinweise für die Reform liefert, die nötig ist. Da die Märkte zu Blasen neigen, müssten die offiziellen Stellen zunächst einmal Verantwortung dafür übernehmen, zu verhindern, dass die Blasen zu groß werden. Alan Greenspan und andere haben sich geweigert, dies zu akzeptieren. Wenn die Märkte Blasen nicht erkennen können, so behauptete der frühere Vorsitzende der US Federal Reserve, können die Regulierer das auch nicht – und damit hatte er recht. Trotzdem müssen die Behörden die Herausforderung annehmen.
Zweitens reicht es, wenn man Vermögenswertblasen unter Kontrolle bringen will, nicht aus, die Geldmenge zu kontrollieren. Man muss dafür auch das Kreditaufkommen kontrollieren. Die besten bekannten Mittel dafür sind die Margin-Anforderungen und die Mindestkapital-Anforderungen. Derzeit sind diese unabhängig von der Stimmungslage des Marktes festgelegt, weil die Märkte angeblich keinen Launen unterliegen. Die haben sie aber durchaus und die Behörden müssen ihnen entgegenwirken, um zu verhindern, dass Vermögenswertblasen zu groß werden. Deshalb müssen sie die Margin- und Kapitalanforderungen variieren. Außerdem müssen sie das Beleihungsverhältnis bei Geschäftskrediten und Wohnraumkrediten variieren, um Immobilienblasen zu verhindern.
Eventuell müssen die Regulierer auch neue Werkzeuge erfinden oder alte wieder aufleben lassen, die außer Gebrauch gekommen sind. Früher haben Notenbanken die Geschäftsbanken angehalten, die Kreditvergabe an einen Sektor einzuschränken, wenn sie das Gefühl hatten, er würde sich überhitzen.
Ein weiteres Beispiel dafür, dass neue Werkzeuge gebraucht werden, ist der Internetboom. Eigentlich erkannte Greenspan ihn, als er 1996 von „irrationalem Überschwang“ sprach. Er tat aber nichts, um ihn abzuwenden, weil er meinte, die Senkung der Geldmenge sei ein zu grobes Werkzeug. Er hätte sich aber auch spezifischere Maßnahmen ausdenken können. Zum Beispiel hätte er die Securities and Exchange Commission bitten können, die Aktien-Neuemissionen einzufrieren, denn der Internetboom wurde von der Ausnutzung der Kapitalbeschaffung gespeist.
Da die Märkte instabil sind, gibt es drittens neben den Risiken, die einzelne Marktteilnehmer betreffen, noch systemische Risiken. Die Teilnehmer ignorieren diese systemischen Risiken möglicherweise und meinen, sie könnten ihre Positionen jederzeit verkaufen. Die Regulierer dürfen sie jedoch nicht ignorieren, denn wenn zu viele Marktteilnehmer auf der gleichen Seite stehen, können die Positionen nicht liquidiert werden, ohne dass es zu Diskontinuitäten oder zu einem Kollaps kommt. Das bedeutet, dass die Positionen aller großen Marktteilnehmer einschließlich
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