George Soros: Gedanken und Lösungsvorschläge zum Finanzchaos in Europa und Amerika
Verbindlichkeiten ausreichen. Wir können erst beurteilen, wie ernst die Lage ist, wenn die Ergebnisse veröffentlicht sind, was vermutlich vor Ende Juli geschieht. Klar ist allerdings, dass die Banken stark überschuldet sind und zwangsweise rekapitalisiert werden müssen. Das dürfte die erste Aufgabe des Europäischen Stabilisierungsfonds sein und das wird viel dazu beitragen, die Atmosphäre zu reinigen. Dann könnte beispielsweise sichtbar werden, dass es in Spanien überhaupt keine Finanzkrise gibt. Die jüngsten Marktbewegungen deuten in diese Richtung. Auch die Rolle Deutschlands könnte in einem ganz anderen Licht erscheinen, wenn es durch die Rekapitalisierung seiner Landesbanken mehr Nutznießer als Beitragszahler des Stabilisierungsfonds wird.
Zweitens muss eine Straffung der Finanzpolitik durch eine Lockerung der Währungspolitik ausgeglichen werden. Konkret könnte die EZB spanische Staatsanleihen mit kurzer Laufzeit aufkaufen, was die Strafzinsen wesentlich senken würde, die durch den von Deutschland angeregten Europäischen Stabilisierungsfonds festgelegt wurden und die Spanien jetzt auf seine Anleihen bezahlen muss. Dadurch könnte Spanien seine Haushaltsziele unter weniger Schmerzen erreichen. Ohne einen Sinneswandel Deutschlands ist das jedoch nicht möglich.
Drittens ist es jetzt an der Zeit, ungenutzte Mittel arbeiten zu lassen, indem man sie in Bildung und Infrastruktur investiert. Beispielsweise braucht Europa ein besseres System von Gaspipelines, wobei die Verbindung zwischen Spanien und Frankreich einen Flaschenhals darstellt. Der Europäischen Investitionsbank dürfte es gelingen, noch andere Investitionsmöglichkeiten zu finden, zum Beispiel den Ausbau der Breitbandversorgung oder den Aufbau eines intelligenten Stromnetzes.
Momentan kann man zwar unmöglich Konkreteres sagen, aber es gibt Anlass zum Optimismus. Wenn die Zahlungsfähigkeit der Banken geklärt ist und sie ordentlich rekapitalisiert wurden, dürfte es möglich sein, eine Wachstumsstrategie für Europa zu entwerfen. Und wenn Europa sein Gleichgewicht wiedergefunden hat, ist die Zeit reif, die strukturellen Unzulänglichkeiten des Euros zu beheben. Täuschen Sie sich nicht: Die Tatsache, dass die Maastricht-Kriterien so eklatant verletzt wurden, zeigt, dass der Euro Mängel hat, die behoben werden müssen.
Wie ich schon am Anfang sagte, ist ein heikles Manöver in zwei Phasen nötig, ähnlich dem, das die Verantwortlichen nach der Pleite von Lehman Brothers durchführten. Zuerst Europa helfen, durch Wachstum aus seinen Schwierigkeiten herauszukommen, und dann die Struktur des Euros stärken. Ohne Deutschlands Führung geht das nicht. Ich hoffe, dass Deutschland seiner Verantwortung wieder gerecht wird. Schließlich hat es das früher auch getan.
Deutschland reiste weitgehend isoliert zu dem G-20-Gipfel in Toronto am 26. und 27. Juli. Vor dem Gipfel hatte Präsident Obama Angela Merkel öffentlich angefleht, ihre Politik zu ändern. Auf dem Gipfel wurde der Spieß umgedreht. Der kanadische Premierminister Stephen Harper als Gastgeber und der neu gewählte britische Premierminister David Cameron stellten sich gemeinsam hinter Merkel, sodass Obama isoliert dastand. Die G-20 unterstützten Merkels Ansatz und befürworteten als Ziel eine Halbierung der Haushaltsdefizite bis 2013. Dies verstärkt die Bedrohung der Weltwirtschaft durch eine Deflationsspirale und macht die Erfahrung der 1930er-Jahre noch relevanter, als sie es war, als ich einen großen Teil des obigen Textes als Rede an der Humboldt-Universität vortrug.
Die Politiker behaupten, sie würden sich nach den Hinweisen von den Finanzmärkten richten, aber sie interpretieren deren Signale falsch. Die Risikoprämien auf Staatsanleihen sind in Europa wegen der Situation der Banken gestiegen. Aber die Renditen auf Staatsanleihen der Vereinigten Staaten, Japans und Deutschlands stehen auf Allzeittiefs oder nahe daran, die Zinskurven werden flacher und die Rohstoffpreise sinken – all das deutet auf Deflation voraus. Auch die Kapitalmärkte sind unter Druck geraten, aber das liegt daran, dass es an klarer Führung fehlt. Das Spektrum der Unsicherheiten ist ungewöhnlich breit: Die Märkte müssen Inflation, Zahlungsausfall und Desintegration einpreisen, alles zur gleichen Zeit. Kein Wunder, dass die Preise fallen.
Die Spitzenpolitiker der Welt müssen lernen, dass sie die Märkte führen müssen, und nicht versuchen, ihnen zu folgen. Natürlich müssen sie auch die
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