George Soros: Gedanken und Lösungsvorschläge zum Finanzchaos in Europa und Amerika
nicht, wieso man Deutschland die Schuld an den Problemen der Eurozone geben sollte. Schließlich ist es die erfolgreichste Volkswirtschaft Europas und absolut in der Lage, an den Weltmärkten zu konkurrieren. Die Probleme der Eurozone fühlen sich wie eine Bürde an, die Deutschland herunterzieht. Es ist nicht klar, was diese Wahrnehmung ändern könnte, denn die Probleme der Eurozone belasten den Euro und als wettbewerbsfähigstes Land der Eurozone hat Deutschland davon den größten Nutzen. Deshalb empfindet Deutschland wahrscheinlich von allen Mitgliedstaaten den geringsten Schmerz.
Der Fehler in der deutschen Haltung lässt sich am besten durch ein Gedankenexperiment verdeutlichen. Den glühendsten Verfechtern dieser Haltung wäre es lieber, dass Deutschland aus dem Euro aussteigt, als dass es seine Position ändert. Schauen wir uns einmal an, wohin das führen würde.
Die D-Mark würde durch die Decke gehen und der Euro würde in den Keller fallen. Das würde zwar in der Tat zum Anpassungsprozess der anderen Länder beitragen, aber Deutschland würde merken, wie schmerzhaft es sein kann, eine überbewertete Währung zu haben. Seine Handelsbilanz würde negativ werden und es gäbe verbreitete Arbeitslosigkeit. Die deutschen Banken würden massive Wechselkursverluste erleiden und sie bräuchten mehr öffentliche Geldspritzen. Aber die deutsche Regierung fände mehr politische Akzeptanz für die Rettung deutscher Banken als Griechenland oder Spanien. Und es gäbe noch andere Entschädigungen: Rentner könnten sich in Spanien zur Ruhe setzen, leben wie die Könige und zur Erholung des spanischen Immobilienmarkts beitragen.
Ich möchte betonen, dass dieses Szenario völlig hypothetisch ist, denn es ist äußerst unwahrscheinlich, dass man es zulassen würde, dass Deutschland aus dem Euro aussteigt und das auf freundliche Art tut. Ein Ausstieg Deutschlands würde finanziell, wirtschaftlich und vor allem politisch destabilisierend wirken. Der Zusammenbruch des gemeinsamen Marktes ließe sich dann nur schwer vermeiden. Zweck dieses Gedankenexperiments ist es, Deutschland davon zu überzeugen, dass es seine Handlungsweise ändern muss, ohne die tatsächliche Erfahrung zu machen, zu der seine derzeitige Politik führt.
Welche Politik sollte Deutschland am besten verfolgen? Man kann nicht von ihm erwarten, dass es bis ins Unendliche für die Defizite anderer Länder einsteht. Daher ist eine gewisse Straffung der Finanzpolitik unvermeidlich. Doch es muss eine Möglichkeit gefunden werden, wie die Krisenländer durch Wachstum den Weg aus ihren Schwierigkeiten finden. Den größten Teil der Schwerstarbeit müssen die betroffenen Länder bewältigen, indem sie Strukturreformen umsetzen, aber sie brauchen auch etwas Hilfe von außen, um ihre Wirtschaft anzukurbeln. Dadurch, dass Deutschland sein Haushaltsdefizit verringert und sich gegen Lohnsteigerungen wehrt, die den Kaufkraftverlust des Euros ausgleichen würden, macht es Deutschland den anderen Ländern in Wirklichkeit schwerer, wieder wettbewerbsfähig zu werden.
Was sollte Deutschland also tun? Es muss drei Leitprinzipien anerkennen.
Erstens ist die aktuelle Krise eher eine Bankenkrise als eine Finanzkrise. Das Bankensystem auf dem europäischen Kontinent wurde nach dem Crash 2008 nie richtig gesäubert. Faule Vermögenswerte wurden nicht nach „mark to market” verbucht – also gemäß dem aktuellen Marktpreis bewertet –, sondern werden bis zur Fälligkeit gehalten. Als die Märkte anfingen, an der Bonität von Staatsschulden zu zweifeln, wurde in Wirklichkeit die Solvenz der Banken infrage gestellt, denn die Banken waren mit Anleihen der schwächeren Länder beladen, die jetzt unter dem Nennwert verkauft werden – also unter dem Preis, zu dem sie ausgegeben wurden. Den Banken fällt es schwer, kurzfristige Finanzierungen zu bekommen. Der Interbankenmarkt – also die Kreditnahme und Kreditvergabe der Banken untereinander – und der Markt für Geldmarktpapiere sind ausgetrocknet und die Banken haben sich um kurzfristige Finanzierungen sowie für die Einlage ihres überschüssigen Bargelds an die EZB gewandt. Sie sind nicht in der Lage, Staatsanleihen zu kaufen. Das ist der Hauptgrund, aus dem die Risikoprämien auf Staatsanleihen gestiegen sind und einen Teufelskreis bilden.
Die Krise zwingt die Behörden jetzt, die Ergebnisse ihrer Stresstests der Banken zu veröffentlichen, die Auskunft geben, inwieweit deren Mittel für die Deckung ihrer
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