Georgette Heyer
wünschte! Wir haben uns
erlaubt, uns einfach hinreißen zu lassen, Venetia. Hattest du nie das Gefühl,
daß du in einem Traum lebtest?»
«Vorher nicht. Aber jetzt. Das jetzt
erscheint mir unwirklich.»
«Du bist zu romantisch! Wir haben in
Arkadien geweilt, mein grünes Mädchen – die übrige Welt ist nicht so golden wie
dieser stille Winkel hier. Nur in der Phantasie verschwören sich alle Umstände
so, daß sich zwei Menschen unvermeidlich ineinander verlieben. Wir hätten kaum
isolierter sein können, wenn wir miteinander auf eine einsame Insel gespült
worden wären. Nichts geschah, was unsere Idylle hätte stören können, niemand
drängte sich uns auf – einen magischen Augenblick lang vergaßen wir – oder zumindest
vergaß ich – jeden Gedanken an die äußere Welt – sogar, daß es andere Dinge im
realen Leben gibt, als ganz in Liebe versunken zu sein!»
«Aber es war real, weil es doch
geschehen ist, Damerel.»
«Ja, geschehen ist es. Laß es uns
beide so hinnehmen, daß es ein bezauberndes Intermezzo war! Weißt du, es konnte
nie mehr als ein Intermezzo sein – wir mußten wieder auf die Erde zurückkehren
– wir hätten einander sogar ein bißchen müde werden können. Das ist es, warum
ich sage, daß die Ankunft deines Onkels gut abgestimmt ist – < sich trennen,
welch ein süßer Kummer > –, aber plötzlich nicht mehr lieben – o nein, was
für ein graues, bitteres Ende unserer Herbstidylle wäre das geworden! Wir
müssen lächelnd zurückblicken können, mein liebes Entzücken, nicht erschauernd!»
«Sag mir eines!» bat sie. «Wenn du
von Gedanken an die äußere Welt sprichst – denkst du da an dein vergangenes
Leben?»
«Aber ja, natürlich – aber auch an
anderes! Ich glaube nicht, daß ich ein guter Gatte wäre, meine Liebe, und etwas
anderes – ist unmöglich. Um offen zu dir zu sein: die Vorsehung in Aubreys
Gestalt kam gestern gerade zur rechten Zeit dazwischen, um uns beide vor einer
Katastrophe zu bewahren.»
Sie hob die Augen zu seinem Gesicht.
«Du hast mir gestern gesagt, daß du mich liebst – bis an den Rand des
Wahnsinns, sagtest du. War es das, was du damit meintest, daß es nicht
wirklich war und daher nicht dauern konnte?»
«Ja, das ist es, was ich meinte»,
sagte er brüsk. Er kam zu ihr zurück und packte ihre Handgelenke. «Ich habe dir
auch gesagt, daß wir darüber sprechen würden, wenn wir kühler wären – nun, mein
Geliebtes, die Nacht bringt Rat! Und der Tag hat den Onkel gebracht – und dabei
belassen wir es denn, und sagen nicht mehr als: < Da nichts hilft, komm, laß
uns küssen, und dann fort > !»
Stumm hob sie ihm ihr Gesicht
entgegen. Er küßte sie, schnell, derb, und stieß sie fast von sich. «Da! Jetzt
geh, bevor ich deine Unschuld noch schlimmer ausnütze!» Er ging zur Tür, riß
sie auf und brüllte Imber zu, Nidd Bescheid zu geben, er solle Miss Lanyons
Stute vorführen. Als er sich umdrehte, sah sie das häßliche Hohnlächeln auf
seinem Gesicht und schaute unwillkürlich weg. Er lachte kurz und spöttisch auf
und sagte: «Schau nicht so traurig drein, mein Lieb! Ich versichere dir, es
wird nicht lange dauern, bevor du Gott dankst, daß du den Klauen des Teufels in
Person entronnen bist. Du wirst kein zweitesmal hineingeraten, darum hasse
mich nicht – sei dankbar, daß ich dir deine wunderschönen Augen ein bißchen
geöffnet habe! Sie sind so wunderschön – < und um die Augenlider soviel
Süße > ! Du wirst Aufsehen erregen in London – die jungen Salonlöwen werden
sagen, du seist wie ein – ein Diamant reinsten Wassers –, und das bist du
auch, meine Bezaubernde!»
Wieder überfiel sie das Gefühl, daß
sie sich durch das Dickicht eines Albtraumes durchkämpfen mußte. Es gab einen
Ausweg, schrie ihr das Herz zu, und wenn sie den finden konnte, dann würde sie
auch Damerel finden, ihren lieben Freund. Aber die Zeit verstrich, im nächsten
Augenblick würde es zu spät sein; und die Dringlichkeit wirkte nicht als
Ansporn, sondern wie eine kriechende Lähmung, die den Geist hemmte und die
Zunge schwer werden ließ und die Verzweiflung mit einer stumpfen Gedankenleere
verhüllte.
Plötzlich sprach Damerel wieder, mit
seiner üblichen Stimme, wie ihr schien, und sagte abrupt: «Fährt Aubrey mit
dir?»
Sie schaute ihn blicklos an und
sagte, als versuchte sie sich eines langvergessenen Namens zu erinnern: «Aubrey
...»
«Nach London!»
«Nach London», wiederholte sie vage.
Sie strich sich mit der Hand über die
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