Georgette Heyer
Augen. «Ja, natürlich – wie dumm! Ich
hatte vergessen ... Ich weiß nicht. Er ist weggefahren. Er ist auf die Jagd
gefahren, bevor mein Onkel ankam.»
«Ich verstehe. Lädt ihn dein Onkel
mit ein?»
«Ja. Aber er wird nicht mitkommen –
ich glaube wenigstens nicht, daß er mitkommen wird.»
«Möchtest du es?»
Sie runzelte die Stirn und versuchte
sich zu konzentrieren. Im Gedanken an Aubrey gewann sie ihre Fassung wieder.
Sie stellte sich den Bruder in einem Haus vor, wie es das ihres Onkels vermutlich
war, gepeinigt von der gutgemeinten Besorgnis ihrer Tante, gelangweilt von
ihren Versuchen, ihn zu unterhalten, verächtlich allem gegenüber, was die
Tante für höchst wichtig hielt. Venetia sagte daher sofort entschieden: «Nein.
Nicht zum Cavendish Square. Das ginge nicht für ihn. Später, wenn ich meine
Entscheidungen getroffen habe – ich habe es Ihnen ja erzählt, nicht? Ich muß
ein Haus mieten – jemanden, um den Anstand zu wahren –, ein Heim für mich und
Aubrey schaffen. Denn es ist doch so stupide, zu sagen, wie es Edward tut, daß
Aubrey das gefallen müßte, was er verabscheut, nur weil es andere Jungen tun.
Aubrey ist er selbst, und niemand kann ihn ändern, wozu also sagen, er solle
etwas mögen, wenn er nicht will?»
«Das hat überhaupt keinen Zweck.
Lassen Sie ihn zu mir kommen! Sagen Sie ihm, er darf seine Hunde und Pferde
mitbringen – was immer er will! Ich verpflichte mich persönlich, darauf zu
schauen, daß ihm nichts zustößt, und ihn seinem Pauker in guter Verfassung zu
übergeben. Wenn er hier bei mir wäre, würden Sie sich nicht zu Tode um ihn
ängstigen.»
«Nein.» Ihr Lächeln ging kläglich
schief. «O nein, wie könnte ich? Aber ...»
«Das genügt!» unterbrach er sie
schroff. «Sie werden mir dadurch zu nichts verpflichtet sein. Ich werde froh
sein, wenn ich ihn zu meiner Gesellschaft hier habe.»
«Aber – Sie bleiben hier?»
«Ja, ich werde hierbleiben. Kommen
Sie. Nidd sollte eigentlich jetzt schon für Sie gesattelt haben.»
Sie erinnerte sich, daß er seinen
Kommissionär wegen geschäftlicher Angelegenheiten geholt hatte, die, wie er
sagte, wichtig waren; und als sie sich fragte, ob er entdeckt habe, daß seine
Verhältnisse ärger lagen, als er
vermutet hatte, sagte sie schüchtern: «Ich glaube, das hatten Sie doch nie vor,
und daher fürchte ich, daß vielleicht die Angelegenheit, in die Sie verwickelt
waren, nicht gut ausgefallen ist?»
Das Hohnlächeln, mit dem er sich
über sich selbst lustig machte, kehrte zurück; er lachte kurz auf und
antwortete: «Zerbrechen Sie sich nicht darüber den Kopf, denn es ist völlig
unwichtig!»
Er hielt ihr die Tür mit einer
Andeutung von Ungeduld offen. Ihr fiel die zweite Zeile des Sonetts, das er
zitiert hatte, ein: < Nein, es ist Schluß – und mehr bekommst du nicht von
mir. > Er hatte es nicht ausgesprochen. Dessen bedurfte es nicht mehr – ein
goldener Herbst hatte in Sturm und Nieselregen geendet, eine schillernde
Seifenblase war zerplatzt, und ihr blieb nichts als Haltung, um sich manierlich
zu benehmen. Sie nahm Handschuhe und Reitgerte, ging aus dem Salon und über
die steingepflasterte Halle zur offenen Eingangstür. Imber stand daneben, und
sie konnte Nidd, der den Zügel ihrer Stute hielt, draußen stehen sehen. Sie
würde Damerel Lebewohl sagen, ihrem Freund und ihrem Liebsten, vor den Augen
dieser beiden, und sie hatte das Gefühl, sie würde nicht imstande sein,
überhaupt etwas zu sagen, denn ihre Kehle war wie zugeschnürt. Sie trat ins
Freie, wandte sich Damerel zu und tat einen schmerzenden Atemzug.
Er schaute nicht sie an, sondern
eine schwarze Wolke, die im Westen hing. «Zum Teufel!» rief er aus. «Sie werden
Undershaw nicht erreichen, bevor das dort auf Sie herunterkommt. Nidd, besteht
eine Chance, daß es abzieht?»
Nidd schüttelte den Kopf. «Wird
herunterkommen, Mylord. Es tröpfelt schon.»
Damerel schaute auf Venetia
herunter, jetzt nicht mit Hohn, sondern besorgt, mit einem traurigen Lächeln.
Er sagte so leise, daß nur sie es hörte: «Du mußt unverzüglich fort, mein Lieb.
Ich kann dich nicht in meiner Kutsche heimschicken – das geht nicht! Wenn
dieses Weibsbild wüßte ...!»
«Es ist unwichtig.» Sie streckte ihm
die Hand hin. Sie war sehr blaß, aber ein Aufflackern ihres süßen Lächelns
machte ihre Augen warm. «Leben Sie wohl – mein lieber Freund!»
Er antwortete nicht, sondern küßte
ihr nur die Hand, hielt sie fest und führte sie sofort zu ihrer Stute.
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