Georgette Heyer
verwirrende
Hochstaplerin, mit der er wie ein Meteor quer durch das befreite Europa
geschweift war, eine Reise, die berühmt geworden war durch die Mengen frischer
Rosenblätter, die Damerel auf den Boden ihrer verschiedenen Appartements hatte
streuen lassen, und das Meer von rotem Champagner, der zu ihrer Erfrischung
floß. Edward, der feierlich versucht hatte, die Kosten dieser extravaganten
Grillen auszurechnen, hatte in Wirklichkeit die Geschichte nicht geglaubt. Und
jetzt, nachdem er Damerel von Angesicht zu Angesicht kennengelernt hatte, tat
er sie als gänzlich unglaubwürdig ab. Er hatte nicht wirklich Angst gehabt,
daß ein unvernünftiges Frauenzimmer der Verlockung einer solchen trügerisehen Großartigkeit erliegen würde,
aber als er von der Priory wegritt, war er doch, ohne es sich zu gestehen,
erleichtert. Damerel mochte vielleicht versuchen, Venetia zum Gegenstand seiner
Galanterie zu machen – obwohl er anscheinend von ihrer Schönheit nicht sehr
beeindruckt war –, aber Edward, der seinen eigenen Wert kannte, konnte nicht
das Gefühl haben, daß er selbst in Gefahr war, in ihren Augen von solch einem
brüsken Kerl mit kantigem Gesicht verdunkelt zu werden. Frauenzimmern ging von
Natur aus Urteilsvermögen ab. Aber Edward hielt Venenas Verstand für höher
als das des Frauengeschlechts im allgemeinen, und obwohl sie nur wenige Männer
kennengelernt hatte, mußten ihr die drei, die sie gut kannte – ihr Vater,
Conway und er – einen Maßstab für Benehmen und Anstand geschenkt haben, mit dem
sie Damerel genügend vernünftig einzuschätzen imstande war.
Das Schlimmste an der Angelegenheit,
entschied Edward, war der Schaden für ihren Ruf, wenn ihre täglichen Besuche in
der Priory bekannt werden würden. Und diese Möglichkeit quälte ihn so sehr, daß
er die ganze Geschichte seiner Mutter erzählte.
Eine nachgiebige kleine Frau war
diese Mrs. Yardley, derart farblos, daß kein Mensch vermutet hätte, wie sehr
und eifersüchtig sie ihr einziges Kind vergötterte. Sie hatte eine Haut wie
Pergament, dünne, blutleere Lippen und Augen von einem matten, ausgeblichenen
Blau; die Haare, die sie säuberlich unter einer Witwenhaube zusammengerafft
trug, waren von einer unbestimmbaren Farbe zwischen Sand und Grau. Sie sprach
nicht viel und hörte Edward ohne Kommentar zu, fast ausdruckslos. Nur als er
ihr um eine Spur zu beiläufig erzählte, daß Venetia Aubrey täglich in der
Priory besuchte, flackerte eine Spur von Ausdruck in ihren Augen auf, und dann
war das nicht mehr als ein blitzschneller Eidechsenblick, ebenso schnell
vorüber, wie er gekommen war. Edward bemerkte ihn nicht, sondern fuhr fort, ihr
alle Umstände zu erklären, ohne sie um ihre Meinung zu fragen, eher belehrend,
wie das seine Gewohnheit war. Als er dann eine Pause machte, sagte sie «Ja»
mit der ausdruckslosen Stimme, die keinen Schlüssel zu ihren Gedanken lieferte.
Im allgemeinen hätte er sich mit dieser dürftigen Antwort völlig
zufriedengegeben, aber bei dieser Gelegenheit fand er sie ungenügend, denn als
er ihr erzählte, wie normal es für Venetia war, die Priory zu besuchen, ohne
jemand anderen als Nurse zur Anstandsdame mitzuhaben, hatte er gegen seine
eigene Überzeugung argumentiert und wollte eine Bestätigung haben.
«Man kann nicht gut erwarten, daß
sie es nicht tut», sagte er. «Du weißt, wie sie an Aubrey hängt!»
«Ja, wirklich. Er ist ihr großen
Dank schuldig. Ich habe das schon immer gesagt», antwortete sie.
«Oh, was das betrifft ...! Ich
möchte es ja auch gern glauben, aber er ist einer, der alles für selbstverständlich
nimmt. Das Wichtige daran ist, daß nichts dabei ist, wenn Venetia ihn
besucht!»
«O nein!»
«Unter den herrschenden Umständen,
weißt du, und da doch Nurse dort ist – und schließlich ist sie auch kein junges
Mädchen mehr. Ich sehe nichts daran, worüber die Leute klatschen könnten,
nicht?»
«O nein! Ich bin überzeugt, das
werden sie nicht.»
«Natürlich kann es mir nicht passen,
daß sie mit einem solchen Mann zwangsweise bekannt wird, aber ich bilde mir
ein, ich habe ihm klargemacht, wie die Sache steht – habe ihm sozusagen durch
Andeutungen abgewinkt, falls er auch nur irgendwie daran dachte, sie zu
fesseln. Nicht, daß ich da etwa viel befürchte – ich glaube, ich habe ein
ziemlich gutes Urteil, und mich dünkt, daß er überhaupt nicht von ihr
beeindruckt war.»
«Ich vermute, sie ist nicht sein
Fall.»
Sein Gesicht hellte sich auf. «Nein,
sehr
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