Georgette Heyer
seinen Köder nach unschuldigen
jungen Damen auswarf, noch viel weniger ihnen aus der Hand fraß. Er war zwar
leichtfertig, aber nicht so leichtfertig. Oder vielleicht war er zu erhaben dafür,
sich mit Jungfern von Rang abzugeben – Marston wußte es nicht, aber eines wußte
er sehr wohl: daß in all den Jahren, in denen er Seiner Lordschaft gedient
hatte, er ihn nie einer solchen Lady wie Miss Lanyon nachlaufen gesehen hatte.
Er hatte ihn auch nie sich einer seiner Geliebten gegenüber so betragen
gesehen, wie er sich ihr gegenüber betrug, oder ihn so ruhig und nüchtern
gekannt. Seit dem Tag, da er Mr. Aubrey ins Haus getragen hatte, war er nicht
ein einzigesmal angesäuselt gewesen, und das war ein sicheres Zeichen, daß er
sich nicht langweilte oder in einer seiner düsteren Stimmungen steckte. Er war
nicht einmal rastlos, und doch hatte er nicht vorgehabt, mehr als ein, zwei
Tage in der Priory zu bleiben. Sie waren auf ihrem Weg zur Jagdhütte des Lord
Flavell gewesen, aber sie fuhren dann doch nicht hin – alles, was er Marston
gesagt hatte, war, daß er abgeschrieben hatte. Würden sie dann also nach
London zurückkehren, wenn Mr. Aubrey die Priory verlassen haben würde? Seine
Lordschaft hatte keine Pläne, aber gemeint, er würde wohl eine Weile im
Yorkshire bleiben.
Es konnte sein, daß er sich mit
einer neuen Sorte Flirt unterhielt, aber bei jedem anderen Mann hätte es
beträchtlich nach Werben ausgesehen. Wenn es das war,
dann fragte sich Marston, ob Miss Lanyon wohl wußte, was für ein Leben Seine
Lordschaft geführt hatte, und was dieser ältere
Bruder von ihr wohl zu einer solchen Verbindung zu sagen hätte.
Marston wäre entsetzt gewesen, hätte
er geahnt, wieviel Venetia wußte und wie sehr sie sich über einige von Damerels
Abenteuern, die erzählbar waren, unterhielt; und er wäre beträchtlich erstaunt
gewesen, hätte er gewußt, auf was für einem Fuß legerer Kameradschaft dieses
sehr sonderbare Paar stand.
Sie waren enge Freunde – ein Fremder
hätte angenommen, sie seien verwandt, so frei und ungezwungen unterhielten sie
sich miteinander, und so weit entfernt von jeder bloßen Tändelei waren sie. Da
Damerel einmal aus Gründen der Taktik in dem Spiel, das wenige besser zu
spielen wußten als er, die Rolle des fidus Achates, die ihm aufgezwungen
wurde, übernommen hatte, entdeckte er bald, daß er Venetia bei den kniffligen
Problemen beriet, die ihr aus ihrer Stellung als Majordomus der Besitzungen
ihres älteren Bruders erwuchsen, oder mit ihr die besonderen Schwierigkeiten
diskutierte, die sich aus der anscheinenden Entschlossenheit ihres jüngeren
Bruders ergaben, seine zarte Konstitution durch seinen mächtigen Verstand
zugrunde zu richten. Er gab ihr bessere Ratschläge, als er selbst sie je in die
Praxis umgesetzt hatte, sagte ihr aber rundheraus, daß sie nur wenig tun
konnte, um Aubrey von seiner verzehrenden Leidenschaft abzulenken. «Er ist
zuviel allein gewesen. Wenn es möglich gewesen wäre, ihn nach Eton zu schicken,
hätte er dort zweifellos Freundschaften geschlossen. Aber so wie die Dinge
stehen, scheint er nur zwei Freunde zu haben: Sie und seinen alten Pauker –
diesen Pfarrer, von dem er redet, ich habe seinen Namen vergessen. Was er nötig
hat, ist, sich mit Sprößlingen seines Alters anzufreunden, die seine
Steckenpferde teilen, und seine Angst zu bezwingen, daß er bemitleidet und
verachtet wird.»
Sie warf ihm einen sprechenden Blick
zu. «Wissen Sie, daß Sie der erste Mensch sind, der erkannt hat, daß er sein
Lahmsein in gerade dieser Weise haßt? Selbst Dr. Bentworth versteht das nicht
so richtig, und ich kann es nur ahnen, weil er nicht davon spricht. Aber er hat
mit Ihnen darüber gesprochen, nicht? Er hat mir erzählt, was Sie ihm gesagt
haben – daß Sie, wenn Sie die Wahl zwischen einem prächtigen Körper und einem
prächtigen Geist hätten, den Geist wählen würden, weil dieser den Körper viel
länger überdauert. Ich weiß, daß ihn das ziemlich getroffen hat, denn sonst
hätte er es mir nicht erzählt, und ich war Ihnen derart dankbar, daß ich Sie hätte
umarmen können!»
«Tun Sie's auf alle Fälle!» sagte er
prompt.
Sie lachte, schüttelte aber den
Kopf. «Nein, ich mache keinen Spaß. Sehen Sie, es war genau das
Richtige, das man sagen konnte, und daß er überhaupt darüber mit Ihnen
gesprochen hat, zeigt mir, wie gern er Sie hat. Im allgemeinen, wissen Sie, ist
er Fremden gegenüber sehr steif, und wenn Leute wie Lady Denny sich
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