Georgette Heyer
Aufmarsch, so eine dumme
Formalität, zu der nicht die geringste Veranlassung besteht! Die einzigen, die
die Verlesung gern mit anhören würden, sind die, denen mein Vater private
Legate vermacht hat, und die sind nicht dazu eingeladen! Weder für dich noch
für mich, noch sogar für meinen Vetter kann es Überraschungen enthalten.»
«O nein! Es ist nur meine Dummheit –
und die Angst, meinen Papa zu erzürnen. Nach dem, was er mir sagte, dürften er
und Mama von mir erwarten, daß ich nach Hause zurückkehre – nach Hartland
nämlich. Er redete so, als sei das schon ausgemacht. Ich sagte nichts darauf,
weil dazu keine Zeit war–oder vielleicht, weil ich nicht den Mut dazu hatte»,
fügte sie mit einem kläglichen kleinen Lächeln hinzu.
«Sag mir, was du gern tätest!»
«Wenn es meine Pflicht ist,
zurückzukehren, würde ich es tun», stammelte die junge Witwe.
«Das ist doch keine Antwort auf
meine Frage! Deine Wünsche spielen in Hartland keine Rolle; aber hier war das
immer ganz anders!»
«Ja, das ist wahr!» sagte Fanny, und
die Tränen stiegen ihr hoch. «Das ist es ja gerade, warum ich mich frage, ob es
nicht vielleicht Schlechtigkeit und Egoismus von mir ist, daß ich mir einbilde,
ich hätte in erster Linie Pflichten gegen dich und nicht gegen Papa!»
«Wenn du dich nicht wohl fühlst ohne
die Versicherung, daß du nur deine Pflicht erfüllst, dann sage ich dir hiermit,
daß ich ganz und gar auf dich angewiesen bin – Mama!» sagte Serena sehr
förmlich, aber in ihren Augen glitzerte unbändiger Humor. «Was wird aus mir,
wenn du mich nicht in deine Obhut nimmst? Ich warne dich fairerweise, daß ich
weder bei Tante Theresa noch bei Tante Susan leben werde! Und sogar ich würde
zögern, einen eigenen Haushalt aufzutun ohne ein ehrbares weibliches Wesen, das
mir Gesellschaft leistet. Das aber würde Kusine Florence bedeuten, verlaß dich
darauf! Die Carlows und die Dorringtons wären sich darin einig, daß das arme
Geschöpf diesem Zweck geopfert werden müßte.»
Fanny lächelte, sagte aber
ernsthaft: «In Obhut kann ich dich nicht nehmen, aber ich kann sehr gut deine
Anstandsdame sein, und obwohl es sehr dumm klingt, glaube ich wirklich, es
würde dir mehr zusagen, als bei Lady Theresa oder selbst bei Lady Dorrington
leben zu müssen. Und wenn du es gerne möchtest, liebste Serena, dann zweifle
ich nicht, daß auch dein Papa wünschen würde, daß ich es tue, denn er liebte
dich mehr als irgendeinen anderen Menschen.»
«Aber nein, Fanny!» sagte Serena und
streckte impulsiv die Hand nach ihr aus.
«Aber das ist doch gar nicht
verwunderlich! Du bist ihm so ähnlich. Und deshalb weiß ich schon ganz genau,
was ich zu tun habe. Ich hoffe nur, daß Papa nicht über mich verfügen wird,
denn es wäre zu schrecklich, ihm ungehorsam sein zu müssen.»
«Das wird er nicht tun. Er muß doch
einsehen – obwohl du selbst es nicht einsiehst –, daß du Lady Spenborough und
nicht mehr Miss Claypole bist! Außerdem ...» Sie hielt inne, aber als sie Fannys
fragenden Blick sah, fuhr sie freimütig fort: «Verzeih, aber ich bin überzeugt,
daß weder er noch Lady Claypole dich drängen werden, zu ihnen zurückzukehren.
Bei einer so zahlreichen Familie und deiner älteren Schwester, die noch ledig
ist – o nein, sie können es ja gar nicht wünschen, daß du heimkommst!»
«Nein, wirklich nicht! Oh, wie recht
du hast!» rief Fanny aus, und ihre Stirn glättete sich. «Besonders Agnes würde
es gar nicht gern sehen, bestimmt!»
Sie konnten das Thema nicht weiter
erörtern. Die Tür öffnete sich, und einige Herren in Trauerkleidung traten ein.
Angeführt wurde die Prozession von
dem ältesten und zweifellos eindrucksvollsten unter ihnen: Lord Dorrington, den
man wegen seines Umfangs mehr als einmal mit dem Herzog von York verwechselt
hatte, war der Bruder der ersten Lady Spenborough, und da er große Stücke auf
seine eigene Wichtigkeit hielt und stark dazu neigte, sich in die
Angelegenheiten anderer zu mischen, hatte er sich selbst zum Doyen der
Gesellschaft ernannt. Gewichtig schritt er herein, sein Mieder krachte leise,
die vielen Falten seines Halstuches stützten sein massives Kinn, und nachdem er
sich vor der Witwe verbeugt und mit asthmatischer Stimme einige Worte des
Beileids vorgebracht hatte, übernahm er unverzüglich die Aufgabe, die
Gesellschaft zu den verschiedenen Sitzgelegenheiten zu dirigieren. «Ich werde
unseren guten Mr. Perrott bitten, sich an den Schreibtisch zu setzen.
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