Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Georgette Heyer

Georgette Heyer

Titel: Georgette Heyer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serena und das Ungeheuer
Vom Netzwerk:
aber so gemacht, daß er ohne fremde Hilfe in sie schlüpfen konnte;
und an Schmuck trug er ausschließlich seinen goldenen Siegelring. Er hatte
wenig Einnehmendes an sich, denn seine Manieren waren rauh bis zur Grobheit, er
machte sich ebenso viele Feinde wie Freunde, und wäre er nicht von vornehmer
Geburt, hohem Rang und großem Reichtum gewesen – die besseren Kreise hätten
ihn sehr wahrscheinlich gemieden. Aber diese magischen Attribute besaß er nun
einmal, und sie wirkten auf seine Welt wie ein Talisman. Seine Sportkrawatten
und sein unkonventionelles Benehmen mochten zwar bedauert, mußten aber akzeptiert
werden: er war eben Rotherham.
    Ein schöner Mann war er nicht, aber
sein Gesicht war eindrucksvoll, denn seine Augen, von einem seltsamen hellen
Grau, waren strahlend und saßen unter geraden Brauen, die fast
zusammenwuchsen. Er hatte kohlrabenschwarzes Haar und einen dunklen Teint;
seine Gesichtszüge waren hart, die Stirn war etwas gefurcht, das Kinn gespalten,
und die herrische Nase saß zwischen schmalen Wangen. Das einzig Schöne an ihm
waren die Hände, kraftvoll und wohlgeformt. Jeder Dandy hätte alle möglichen
Tricks angewandt, um mit ihnen zu prahlen – Lord Rotherham vergrub sie in den
Taschen.
    Da Lord Dorrington und Mr. Eaglesham
keine Anstalten machten, ihren bissigen Dialog zu beenden, und die höflichen
Versuche Lord Spenboroughs, ihnen ihre Umgebung zum Bewußtsein zu bringen,
nicht beachteten, schritt Rotherham ein, indem er ungeduldig sagte: «Habt ihr
eigentlich vor, den ganzen Tag weiterzustreiten, oder bekommen wir das
Testament zu hören?»
    Beide Herren starrten ihn finster
an; und Mr. Perrott, der die plötzliche Stille ausnützte, entfaltete ein
knisterndes Dokument und verkündete streng, dies sei der Letzte Wille und das
Testament des George Henry Vernon Carlow, des Fünften Earl of Spenborough.
    Wie Serena vorausgesagt hatte,
enthielt es für die Zuhörer wenig Interessantes. Weder Rotherham noch
Dorrington hatten etwas zu erwarten; Sir William Claypole erfuhr, daß der Witwenanteil
seiner Tochter gesichert war; und sobald sich Mr. Eaglesham vergewissert hatte,
daß die verschiedenen Andenken, die seiner Frau versprochen worden, ihr
ordnungsgemäß hinterlassen waren, verlor auch er alles Interesse an der Lesung
des Testaments und überlegte sich einige bissige Aussprüche, die er Lord
Dorrington verpassen würde.
    Serena saß mit abgewandtem Gesicht
still da, die Augen auf den Ausblick vom Fenster geheftet. Der Schock über den
plötzlichen Tod ihres Vaters hatte zunächst keinen Raum für andere Empfindungen
als den Kummer um ihn gelassen, aber mit der Ankunft seines Nachfolgers traten
ihr die üblen Seiten ihrer gegenwärtigen Lage deutlicher vor Augen. Milverley,
das fünfundzwanzig Jahre lang ihr Heim gewesen war, gehörte ihr nicht länger.
Sie, die seine Herrin gewesen war, würde es von nun an nur mehr als Gast
betreten. Sentimentale Überlegungen lagen ihr nicht, auch war sie sich zu
Lebzeiten ihres Vaters keiner tiefen Verbundenheit mit dem Besitz bewußt
gewesen. Sie hatte es als selbstverständlich hingenommen, ihm aus Pflichtgefühl
und Traditionsbewußtsein zu dienen. Jetzt erst, da sie Milverley verlieren würde,
wurde sie sich ihres doppelten Verlustes bewußt.
    Der Mut sank ihr, nur mit Mühe
vermochte sie Haltung zu bewahren, und es war ihr unmöglich, ihre
Aufmerksamkeit dem Anwalt zu schenken, der mit unpersönlicher Stimme und einer
Fülle unverständlicher juristischer Ausdrücke eine lange Liste kleiner
persönlicher Legate herunterlas. Sie waren ihr alle bekannt, viele davon waren
mit ihr besprochen worden. Sie kannte die Quellen, aus denen Fannys Erbe floß,
und jene Besitzungen, die ihren eigenen Anteil liefern würden; Überraschungen
konnte es nicht geben, nichts, was sie von ihren melancholischen Überlegungen
hätte ablenken können.
    Sie irrte sich. Mr. Perrott hielt
inne und räusperte sich. Dann las er weiter, und seine trockene Stimme wurde
noch ausdrucksloser. Die Worte: «... alle meine Besitzungen in Hernesley und in
Ibshaw» drangen in Serenas schweifende Gedanken und kündigten an, daß nun ihr
Teil an den Legaten erreicht worden war. Die nächsten Worte ließen sie den
Kopf mit einem Ruck wenden.
    «... werden Ivo Spencer Barrasford,
dem Sehr Edlen Marquis of Rotherham, zu treuen Händen übergeben ...»
    «Was?!» entfuhr es Serena.
    «– für meine Tochter, Serena Mary»,
fuhr Mr. Perrott fort und hob die Stimme leicht, «zu dem

Weitere Kostenlose Bücher