Georgette Heyer
verhängnisvolle Neigung vererbte sich in der Familie, wie Mama resigniert
erklärt hatte: Großpapa war mit einer Unmenge Schulden gestorben; und Papa, in
der optimistischen Absicht, den Reichtum seines Hauses in altem Glanz
wiedererstehen zu lassen, hatte seine Besitzungen mit noch höheren Hypotheken
belastet. Deshalb war Papa auch so überglücklich gewesen, als Cardross um Nells
Hand anhielt. Denn Cardross war von ebenso guter Familie, wie er vermögend war,
und Papa wäre zuvor genötigt gewesen, seine älteste Tochter dem Meistbietenden
zu geben, selbst wenn sich herausstellen sollte, daß dieser – welch
entsetzenerregender Gedanke – ein reicher Kaufmann mit gesellschaftlichen
Ambitionen war. Er bewies hierin große Seelenstärke und wurde reichlich
belohnt: denn in ihrer allerersten Saison – oder, genauer gesagt, ehe sie einen
Monat in die Gesellschaft eingeführt worden war – hatte Cardross Lady Helen
Irvine nicht bloß bemerkt, sondern war sich offenbar darüber klar, daß sie die
Frau sei, auf die er so lange gewartet hatte. Auf einen derartigen Glücksfall
hätte nicht einmal Lord Pevensey zu hoffen gewagt. Man hatte gewiß annehmen
müssen, daß Cardross, der bereits über Dreißig war und keinen näheren Verwandten
als einen Cousin zum Erben hatte, in absehbarer Zeit eine Heirat in Erwägung
ziehen werde. Seine gesellschaftliche Stellung war so hervorragend, daß ihm
die Wahl unter all den Edelfräulein offenstand, die, nachdem sie im Salon der
Königin präsentiert worden waren, von ihren Müttern im Almack Club und in allen
tonangebenden Salons zur Schau gestellt wurden. Wenn man nach dem Stil der Dame
urteilte, von der ziemlich allgemein bekannt war, daß sie seine Mätresse war,
fand er weit eher Gefallen an etwas älteren und in allen weiblichen Künsten
erfahrenen Frauen als an einem halben Kind, das eben erst aus dem Schulzimmer
entlassen worden war. Es wäre Papa nie eingefallen, daß Nell so gut für die
Familie sorgen würde. Ihr Erfolg und Cardross' Freigebigkeit erwiesen sich für
ihn als zuviel des Glücks: denn kaum hatte er sein Kind zum Altar geleitet, als
er einen Schlaganfall erlitt. Die Ärzte versicherten Mylady, daß er noch viele
Jahre leben werde, doch die schwere Heimsuchung hatte ihn so weit
aktionsunfähig gemacht, daß er sich gezwungen sah, alle gewohnten Vergnügungen
aufzugeben und sich in die Einsamkeit seines Ahnensitzes in Devonshire
zurückzuziehen, wo er nun, wie seine Frau und sein Schwiegersohn – wenn auch
stillschweigend – von ganzem Herzen hofften, dauernden Aufenthalt nehmen
mußte.
Nell wußte
nicht genau, was Cardross getan hatte, um sich die Dankbarkeit ihrer Eltern zu
verdienen. Von alldem wurde nur unter dem vagen Begriff von Vereinbarungen
gesprochen und ihr erklärt, sie solle sich ihr hübsches Köpfchen nicht darüber
zerbrechen, sondern immer nur darauf achten, sich würdig und taktvoll zu
betragen.
Mama,
welche erklärte, ihm zu tiefster Dankbarkeit verpflichtet zu sein, hatte ihr
völlig klargemacht, welche Pflichten sie von nun an zu übernehmen habe. Sie
umfaßten Dinge, wie zum Beispiel Mylord stets ein liebenswürdiges Antlitz zu
zeigen, ihn nie in Verlegenheit zu bringen, indem sie unhöfliche Fragen stellte
oder den Anschein erweckte, etwas zu bemerken, falls er – möglicherweise –
außerhalb der Mauern des prächtigen Palais am Grosvenor Square eine Verbindung
unterhielt: «Einer Sache bin ich gewiß», sagte Mama und tätschelte Nells Hand zärtlich,
«er wird dich stets mit der größten Rücksicht behandeln. Und da er auch
vorzügliche Manieren besitzt, bin ich überzeugt, daß du nie einen Grund zur
Klage über Vernachlässigung haben wirst oder – oder über gleichgültige
Höflichkeit, dieses traurige Los so vieler Frauen in deiner Position. Ich
versichere dir, mein Liebling, es gibt nichts Demütigenderes, als mit einem
Mann verheiratet zu sein, der sich's anmerken läßt, wenn seine Gefühle
anderwärts engagiert sind.»
Die arme
Mama mußte das wissen, denn genau das war ihr Los gewesen. Was Mama allerdings
nicht wußte, und auch sonst niemand vermuten durfte, war die Tatsache, daß
sich ihre so sorgsam erzogene Tochter, gleich beim ersten Zusammentreffen mit
dem Earl, bis über beide Ohren in ihn verliebt hatte. Es geschah an jenem
Abend, als ihn Lady Jersey, eine der Patronessen des Almack Club, quer durch
den Salon zu ihr führte und ihr vorstellte. Sie hatte ihm in die Augen gesehen,
die mit unsagbar zärtlichem
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