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Georgette Heyer

Georgette Heyer

Titel: Georgette Heyer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Page und die Herzogin
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langsam zu leeren.
    «In Anjou –
ach, es liegt so weit zurück», seufzte Léon. «Wir lebten in einem kleinen Haus,
und es gab dort Pferde und Kühe und Schweine – oh, eine Menge Vieh! Und mein
Vater sah es nicht gerne, daß ich weder die Kühe noch die Schweine berühren
wollte – sie waren so schmutzig, wissen sie. Mama sagte, ich solle nicht auf
dem Anwesen arbeiten, sondern mich nur des Geflügels annehmen. Das grauste
mich weit weniger. Eine gesprenkelte Henne gab's dort, die mir allein gehörte.
Jean stahl sie mir, um mich zu ärgern – Jean ist so, wissen Sie. Und dann war
noch der Pfarrer da, Monsieur le Curé. Er wohnte nicht weit von uns, in einem
winzigen Häuschen neben der Kirche. Und er war sehr, sehr lieb und gut. Wenn
ich meine Aufgaben gut lernte, schenkte er mir Süßigkeiten, und manchmal
erzählte er mir wundervolle Märchen und Rittergeschichten. Ich war damals noch
ganz klein, aber ich kann mich noch immer an sie erinnern. Und Vater sagte, es
zieme sich nicht, daß ein Priester Geschichten erzähle, die nicht wahr seien.
Meinen Vater mochte ich nicht so gerne. Er war so ähnlich wie Jean, ein bißchen
... Dann kam die Pest, und viele Leute starben. Ich ging zum Pfarrer, und –
aber Monseigneur weiß das alles schon.»
    «Erzähle
mir also von deinem Leben in Paris», sagte Justin.
    Léon
kuschelte seinen Kopf an die Armlehne und blickte verträumt ins Feuer. Der Kerzenleuchter
neben Avon ließ sein Licht sanft über die kupferfarbenen Locken spielen, so daß
sie im goldenen Schein wie züngelnde Flammen wirkten. Léons zartes Profil war
dem Herzog zugewendet, nichts davon entging seinem forschenden Blick, weder
das Zucken der feinen Lippen noch das Flattern der dunklen Wimpern. Und so erzählte
Léon seine Geschichte, anfangs noch stockend und zögernd, vor allem bei
den schmutzigeren Stellen; seine Stimme wechselte ihren Tonfall mit den
Gefühlen, die der Bericht in ihm auslöste. Doch dann schien er zu vergessen, zu
wem er sprach, und ging völlig in seiner Erzählung auf. Avon lauschte ihm
schweigend; manchmal lächelte er wohl über die sonderbare Philosophie, die der
Junge da zum besten gab, meist jedoch blieb sein Gesicht ausdruckslos, während
sich seine halbgeschlossenen scharfen Augen nicht von Léon abwandten. Die
Prüfungen und Leiden jener Pariser Jahre traten mehr durch das zutage, was
ungesagt blieb, denn durch Klagen oder direkte Hinweise auf die kleinen
tyrannischen Übergriffe und Grausamkeiten Jeans und seines Weibes. Gelegentlich
glich der Bericht dem eines Kindes, doch dann und wann mengte sich in das tiefe
Stimmchen eine Note von Abgeklärtheit und Erfahrung, als gäbe ein Puck
verwandtes Wesen, in. dem sich alte und junge Weisheit paarten, seine
wunderliche Geschichte zum besten. Als der weitschweifige Bericht beendet war,
regte sich Léon sachte, und seine Hand rührte scheu an des Herzogs Ärmel.
    «Und dann
kamen Sie, Monseigneur, und brachten mich hierher und gaben mir all das. Ich
werde es nie vergessen.»
    «Du hast
mich noch nicht von meiner schlimmsten Seite kennengelernt, mein Freund»,
antwortete Justin. «Ich bin bei weitem nicht der Held, den du dir vorstellst.
Als ich dich deinem hochgeschätzten Bruder abkaufte, geschah dies, glaube mir,
nicht aus dem Wunsch heraus, dich aus der Knechtschaft zu befreien. Du konntest
für mich von Nutzen sein. Sollte es sich am Ende herausstellen, daß du für mich
nicht von Nutzen bist, bin ich sehr wohl fähig, dich wieder vor die Tür zu
setzen. Ich sage dir dies zu deiner Warnung.»
    «Wenn Sie
mich fortschicken, ertränke ich mich!» rief Léon leidenschaftlich. «Wenn Sie
meiner müde sind, Monseigneur, will ich in der Küche Dienste leisten. Aber
verlassen werde ich Sie nie.»
    «Oh, wenn
ich deiner müde bin, werde ich dich Mr. Davenant geben!» Avon lachte kurz auf.
«Das könnte ganz amüsant sein – Du lieber Gott! Wenn man den Engel nennt ...»
    Hugh trat
gemächlich ein, blieb jedoch wie angewurzelt auf der Schwelle stehen, als er
die beiden am Feuer erblickte.
    «Ein
rührendes Bild, nicht wahr, Hugh? Satanas in einer neuen Rolle.» Er gab Léons
Haupt einen leichten Klaps. «Zu Bett, mein Kind.»
    Léon erhob
sich sogleich und küßte ehrerbietig des Herzogs Hand. Nach einer knappen
Verbeugung vor Davenant verließ er den Raum.
    Hugh
wartete, bis die Tür zufiel; dann schritt er stirnrunzelnd zum Kamin. Den einen
Ellbogen auf den Kaminsims aufgestützt, die andere Hand tief in seine
Rocktasche vergraben,

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