Georgette Heyer
ihm
wahrscheinlich?»
«Ja,
Monseigneur», nickte Léon. Er zwinkerte Avon zu. «Ich dachte, Sie würden nicht
böse sein, wenn ich dem da ein bißchen grob käme?» Er sah, wie Avons Lippen
sich verzogen, und errötete über den Triumph, den Herzog zum Lächeln gebracht
zu haben.
«Äußerst
scharfsinnig», bemerkte Justin. «Und dann sagtest du ...?»
«Ich sagte, daß ich es
nicht wüßte, Monseigneur. Und das ist wahr.»
«Welch ein Trost.»
«Ja»,
stimmte ihm der Page bei. «Ich mag nicht lügen.»
«Nein?»
Avon schien mit einemmal geneigt, seinen Pagen zum Sprechen zu ermuntern. Nur
zu gern fuhr Léon fort.
«Nein,
Monseigneur. Natürlich ist's manchmal notwendig, aber ich mag's nicht. Ein-
oder zweimal habe ich Jean belogen, weil ich mich fürchtete, die Wahrheit zu
sagen, aber das ist feige, n'est-ce pas? Ich halte es für nicht so
schlimm, einen Feind zu belügen – aber einen Freund oder – oder jemanden, den
man liebt, kann man nicht belügen. Das wäre doch eine Todsünde, nicht wahr?»
«Da ich
mich nicht entsinnen kann, jemals jemanden geliebt zu haben, bin
ich schwerlich imstande, diese Frage zu beantworten, mein Kind.»
Léon
musterte ihn ernsthaft.
«Keinen
einzigen Menschen?» fragte er. «Ich für meine Person liebe nicht oft, aber
wenn, so für immer und ewig. Ich habe meine Mutter geliebt, und den Herrn
Pfarrer, und – und ich liebe Sie, Monseigneur.»
«Wie
bitte?» Avon fuhr leicht erschrocken auf.
«Ich – ich
sagte nur, daß ich Sie liebe, Monseigneur.»
«Ich
glaubte, ich hätte nicht recht gehört. Das ist selbstverständlich höchst
erfreulich, aber ich halte deine Wahl für nicht sehr weise. Man wird im
Souterrain sicher trachten, dich eines Besseren zu belehren.»
Die großen
Augen blitzten auf.
«Sie
sollen's nicht wagen!»
Das Lorgnon
trat in Aktion.
«Ei? Bist
du so fürchterlich in deinem Zorn?»
«Ich habe
ein sehr reizbares Gemüt, Monseigneur.»
«Und du
machst es dir bei meiner Verteidigung zunutze. Äußerst amüsant. Läßt du deinen
Zorn an meinem – Kammerdiener aus, zum Beispiel?»
Léon
schnaubte vor Empörung leicht auf.
«Ach, der
ist nur ein Tölpel, Monseigneur!»
«Das ist er
in beklagenswerter Weise. Es ist mir schon oft aufgefallen.»
Sie waren
nun vor Avons Palais angekommen, und die Lakaien hielten das Eingangstor für
sie offen. In der Vorhalle blieb Avon vor dem erwartungsvoll aufblickenden
Léon stehen.
«Du kannst
mir etwas Wein in die Bibliothek bringen», sagte der Herzog und schritt weiter.
Als Léon
mit einem schweren Silbertablett eintrat, saß Justin beim Feuer, die Füße auf
den Kaminrost gestützt. Unter halbgesenkten Lidern sah er seinem Pagen zu, wie
er ein Glas mit Burgunder vollschenkte. Léon brachte es ihm.
«Danke.»
Avon lächelte, als Léon ob dieser ungewohnten Höflichkeit eine überraschte
Miene zeigte. «Du hast dir ohne Zweifel eingebildet, meine Manieren ließen
erschreckend viel zu wünschen übrig? Du kannst dich setzen. Zu meinen Füßen.»
Léon hockte
sich prompt auf untergeschlagenen Beinen nieder und blickte einigermaßen
verwirrt, jedoch sichtlich vergnügt zum Herzog auf.
Justin
nippte am Wein, wobei er den Pagen im Auge behielt, und stellte sodann das Glas
auf einem Tischchen an seiner Seite ab.
«Du hältst
mich wohl für ein bißchen unberechenbar? Ich wünsche unterhalten zu werden.»
Léon sah
ihn ernst an. «Wie denn, Monseigneur?»
«Plaudern,
zum Beispiel», sagte Avon. «Deine jugendlichen Ansichten über das Leben sind
äußerst amüsant. Gib sie mir weiter zum besten.»
Léon lachte
auf.
«Ich weiß
nicht, was ich sagen soll, Monseigneur! Ich glaube nicht, daß ich irgend etwas
Interessantes zu berichten habe. Alle finden, ich schnattere in einem fort
drauflos, aber es stecke nichts dahinter. Madame Dubois läßt mich ja reden,
aber Walker – ach, Walker ist so langweilig und streng!»
«Wer ist
Madame – äh – Dubois?»
Léon riß
die Augen auf.
«Aber das
ist doch Ihre Haushälterin, Monseigneur!»
«Wirklich?
Hab sie noch nie gesehen. Ist sie ein stimulierendes Publikum?»
«Monseigneur?»
«Laß nur.
Erzähle mir von deinem Leben in Anjou. Bevor Jean dich nach Paris brachte.»
Léon nahm
eine noch bequemere Stellung ein, und da die Armlehne von Avons Fauteuil eine
nahe und einladende Stütze bot, lehnte er sich daran, ohne freilich zu ahnen,
wie sehr er sich damit gegen die Etikette verging. Avon sagte nichts; er griff
nach seinem Glas und begann dessen Inhalt
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