Georgette Heyer
Note in der sanften Stimme ließ heftige Röte
in Léons Wangen schießen.
«Ich – Sie
sind nicht – nett!»
«Das hast
du erst jetzt entdeckt? Aber ich verstehe trotzdem nicht, warum ich unnett
genannt werde, wenn ich dich belohne.»
«Das
verstehen Sie eben wirklich nicht!» sagte Léon heftig.
«Ich
verstehe soviel, daß du dich für beleidigt erachtest, Kind. Das ist äußerst
unterhaltsam.»
Ein leises
Schnauben, das gleichzeitig ein Schluchzen war, kam als Antwort. Der Herzog
lachte abermals auf und legte jetzt eine Hand auf Léons Schulter. Der eherne
Druck zwang Léon auf die Knie, und mit niedergeschlagenen Augen blieb er auf
ihnen liegen. Die Kette flog über seinen Kopf.
«Léon, du
wirst dies tragen, weil es mir Freude bereitet.»
«Ja,
Monseigneur», sagte Léon steif.
Der Herzog
umschloß das spitze Kinn mit seiner Hand und zwang es empor.
«Ich frage
mich, woher ich diese Geduld mit dir aufbringe», sagte er. «Die Kette ist ein
Geschenk. Bist du jetzt zufrieden?»
Léon senkte
rasch sein Kinn, um das Handgelenk des Herzogs zu küssen.
«Ja,
Monseigneur. Danke. Es tut mir wirklich leid.»
«Dann
darfst du dich wieder setzen.»
Léon griff
nach seinem Haut, gab ein zittriges Lachen von sich und nahm wieder den breiten
Sitz neben dem Herzog ein.
«Ich
glaube, ich lasse mich viel zu leicht von Zorn übermannen», bemerkte er naiv.
«Monsieur le Curé hätte mir dafür eine Buße auferlegt. Er pflegte zu sagen,
Zorn sei eine Todsünde. Oft und oft hielt er es mir vor!»
«Sehr viel
Nutzen scheinst du aus diesen Vorhaltungen nicht gezogen zu haben», erwiderte
Avon trocken.
«Nein,
Monseigneur. Aber es ist so schwer, sehen Sie! Mein Zorn ist zu schnell für
mich. Binnen einer Minute ist er da, und dann kann ich ihn nicht mehr
zurückhalten. Aber fast immer tut es mir nachher leid. Werde ich heute abend
den König sehen?»
«Schon
möglich. Folge mir auf dem Fuße. Und starre nicht herum.»
«Nein,
Monseigneur, ich will's versuchen, es nicht zu tun. Aber auch das ist schwer.»
Vertrauensvoll wandte er sich bei diesen Worten um, doch der Herzog war
offensichtlich eingeschlafen. Léon kuschelte sich daher in eine Ecke der
Kutsche und schickte sich an, die Fahrt schweigend zu genießen. Gelegentlich
überholten sie andere Wagen, die alle nach Versailles fuhren, doch sie selbst
wurden von keiner einzigen Kutsche überholt. Die vier englischen Vollblutpferde
schossen wieder und wieder an ihren französischen Artgenossen vorüber, und aus
den zurückbleibenden Kutschen lehnten die Insassen sich zu den Fenstern
hinaus, um zu sehen, wer da in solchem Tempo dahinraste. Das Wappen an Avons
Kutschentür, das im Licht ihrer Wagenlaternen aufblitzte, sagte es ihnen
eindeutig, und auch die schwarz-goldenen Livreen waren nicht zu verkennen.
«Das hätte
man wissen können», sagte der Marquis de Chourvanne und zog seinen Kopf zurück.
«Wer anders würde schon ein solches Tempo einlegen?»
«Der
englische Herzog?» fragte seine Frau.
«Natürlich.
Gestern nacht habe ich ihn getroffen – kein Wort sprach er davon, daß er heute
abend zum Lever kommen werde.»
«Theodore
de Ventour erzählte mir, daß kein Mensch wisse, wo der Herzog im nächsten
Augenblick auftauche.»
«Poseur!» schnaubte der
Marquis und zog das Fenster hoch.
Die
schwarz-goldene Kutsche rollte weiter ihres Weges, kaum innehaltend, bis
Versailles erreicht war. Dann verlangsamte sie ihre Fahrt, als es durchs
Gittertor ging, und Léon setzte sich auf die Kante, um interessiert in das
Dämmergrau hinauszublicken. Seine Augen nahmen nur etwas wahr, wenn die Kutsche
an einer Laterne vorbeikam; doch bald fuhren sie in die Cour Royale ein. Léon
wurde nicht müde, dahin und dorthin zu sehen. Der an drei Seiten von Mauern
umschlossene Hof erstrahlte in blendendem Licht; aus allen Fenstern, deren
Läden offen waren, leuchtete es, und große Fackeln trugen noch das Ihre dazu
bei. In langem Zug strömten Kutschen zum Tor heran, blieben stehen, um ihre
Insassen aussteigen zu lassen, und fuhren dann wieder weiter, damit andere an
ihre Stelle rückten.
Der Herzog
öffnete seine Augen erst, als sie vor dem Tor hielten. Er blickte hinaus,
musterte gelassen den strahlenden Hof und gähnte.
«Jetzt muß ich
wohl aussteigen», bemerkte er und wartete, daß sein Lakai das Stufengestell
herabließ. Léon kletterte als erster hinab und schickte sich dann an, dem
Herzog behilflich zu sein. Langsam stieg Seine Gnaden aus, hielt einen
Augenblick inne,
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