Georgette Heyer
Alastair, hielt sie sich für
eine ganz inferiore Kreatur. Mit ihrem Mann, einem obskuren Gentleman, der eine
gewisse Vorliebe für das Landleben gezeigt hatte, war sie recht glücklich
gewesen, doch sie wußte, daß sie sich in den Augen ihrer Familie durch ihre Ehe
entehrt hatte. Zu seinen Lebzeiten hatte sie dies nicht sehr gestört, aber nun,
da sie nach seinem Tod sozusagen in ihr einstiges milieu zurückgekehrt
war, wurde sie sich mit wachsendem Unbehagen des Schrittes nach abwärts bewußt,
den sie in ihrer verblendeten Jugend getan. Sie fürchtete Avon beträchtlich,
doch das Verweilen in seinem Haus behagte ihr. Wenn sie rundum auf die
verblaßten Wandbehänge, die samtigen Rasenflächen, die zahllosen
Familienporträts, die über den Türen gekreuzt angebrachten Schwerter blickte,
trat ihr erneut die Glorie der versunkenen Alastairs vor Augen, und eine fast
vergessene Saite in ihrem Innern wurde zum Erklingen gebracht.
Léonie war von
Avon Court entzückt und verlangte danach, seine Geschichte zu erfahren. Sie
schritt an Avons Seite durch den Besitz und vernahm, wie Hugo Alastair, ein
Gefolgsmann Wilhelms des Eroberers, sich hier niedergelassen und einen
stattlichen Wohnsitz errichtet hatte, der in den unruhigen Zeiten König
Stephans zerstört worden war; wie Sir Roderick Alastair ihn wiederaufgebaut
hatte; wie dieser die Baronie erhielt und es zu Wohlstand brachte, und wie der erste
Earl unter der Regierung der Königin Mary das alte Gebäude niedergerissen und
das gegenwärtige Haus errichtet hatte. Und sie erfuhr vom Bombardement, das
damals, als Earl Henry an der Seite des Königs gegen den Thronräuber Cromwell
kämpfte, den Westflügel teilweise zerstört hatte, und wie der Earl dafür in der
Restaurationszeit mit der Herzogswürde belohnt wurde. Sie sah das Schwert des
letzten Herzogs, das dieser im tragischen Fünfzehnerjahr für König Jakob III.
eingesetzt, und vernahm auch ein weniges von Justins eigenen Abenteuern vor
zehn Jahren im Dienste König Karls II. Justin berührte diese Periode seines
Lebens nur flüchtig; Léonie erriet, daß seine Aufgabe damals geheim und voll
von Winkelzügen gewesen war, doch sie erfuhr, daß der wahre König Charles Edward
Stuart sei, und lernte, vom kriegerischen kleinen Mann auf dem ,Thron als dem
Kurfürsten Georg zu sprechen.
Ihre Erziehung von seiten Justins bedeutete ihr eine Quelle des Interesses
und des Vergnügens. Droben in der langen Bildergalerie lehrte er sie tanzen,
wobei er mit einem Adlerauge den geringsten Fehler oder die leiseste Andeutung von Unbeholfenheit in ihrer Haltung
zu entdecken wußte. Madam Field begleitete sie auf dem Spinett und sah ihnen
mit nachsichtigem Lächeln bei ihren gemessenen Tanzschritten zu. Sie dachte bei
sich, sie habe ihren unnahbaren Cousin noch nie so menschlich gesehen wie im
Umgang mit diesem lachenden Kobold von einem Mädchen.
Avon ließ
Léonie Knickse üben und veranlaßte sie, ihre anmutige Schalkhaftigkeit mit
einem Hauch jener Arroganz, die Milady Fanny charakterisierte, zu kombinieren.
Er zeigte ihr, wie sie ihre Hand zum Kusse auszustrecken habe, wie der Fächer
zu handhaben und wie die Schönheitspflästerchen zu placieren seien. Er lehrte
sie, während er mit ihr über die weiten Rasenflächen wandelte, jegliche Regel
des guten Betragens, bis sie ihre neue Rolle bis ins letzte beherrschte. Immer
wieder schärfte er ihr ein, eine leicht königliche Haltung zu bewahren. Sie
lernte es rasch und pflegte mit unendlichem Vergnügen jeweils die letzte
Lection vor ihm zu rekapitulieren; wenn sie Lobesworte erntete, strahlte sie
vor Stolz.
Sie konnte
bereits reiten, doch nur im Herrensitz. Der Damensattel erregte ihren
Widerwillen, und eine Zeitlang wehrte sie sich gegen ihn. Zwei Tage lang hielt
ihr Wille dem Avons stand, doch seine kalte Höflichkeit entwaffnete sie
schließlich und am dritten Tag trat sie hängenden Kopfes vor ihn und murmelte: «Es tut mir
leid, Monseigneur. Ich – ich will so reiten, wie Sie es wünschen.»
So ritten
sie mitsammen auf dem Schloßgrund aus, bis sie diese Art zu meistern gelernt
hatte, und dann auch überland; diejenigen, die den Herzog an der Seite des
schönen Mädchens erblickten, warfen einander vielsagende Blicke zu und
schüttelten weise die Häupter, denn sie hatten schon viele andere schöne
Mädchen mit Avon ausreiten gesehen.
Im Schloß,
das so lange einer Herrin beraubt gewesen war, begann nach und nach eine
frischere Luft zu wehen. Léonies heiterer junger
Weitere Kostenlose Bücher