Georgette Heyer
seltsam vor, noch seltsamer Saint-Vires Gehaben, doch er
war viel zu gut erzogen, um seiner Ungläubigkeit Ausdruck zu verleihen.
«Mein
lieber Comte, dies kommt äußerst gelegen. Wollen Sie mir nicht das Vergnügen
schenken, einmal am Dinner in Merivale teilzunehmen? Ich muß Sie mit meiner
Frau bekannt machen.»
Abermals
schien Saint-Vire zu zögern.
«Monsieur,
ich setze meine Reise morgen fort.»
«Nun,
Comte, dann bitte ich Sie, heute abend nach Merivale zu kommen.»
Fast sah es
so aus, als zuckte der Graf die Achseln.
«Eh
bien, M'sieur, Sie
sind sehr liebenswürdig. Ich danke Ihnen.»
Er kam
abends nach Merivale und beugte sich tief über Jennifers Hand.
«Madame,
Sie bereiten mir eine große Freude. Ich habe schon seit langem den Wunsch, die
Gattin meines Freundes Merivale kennenzulernen. Ist es zu spät, Ihnen meine
Glückwünsche auszudrücken, Merivale?»
Anthony
lachte.
«Wir sind
seit vier Jahren verheiratet, Comte.»
«Man hörte
schon viel von der Schönheit von Madame la Baronne», sagte Saint-Vire.
Jennifer
zog ihre Hand zurück.
«Wollen Sie
nicht Platz nehmen, Monsieur? Ich freue mich stets, die Freunde meines Gatten
in meinem Hause zu sehen. Wohin reisen Sie?» Saint-Vire machte eine unbestimmte
Geste.
«Nordwärts,
Madame. Ich fahre zu meinem Freund – äh – Chalmer.» Merivales Stirn runzelte
sich.
«Chalmer?
Glaube nicht, daß ich den Namen ...»
«Er lebt
äußerst zurückgezogen», erklärte Saint-Vire, indem er sich abermals
Jennifer zuwandte. «Madame, ich glaube nicht, Ihnen je in Paris begegnet zu
sein?»
«Nein, Sir,
ich habe England noch nie verlassen. Mein Gatte reist gelegentlich hinüber.»
«Sie
sollten Madame mitnehmen», sagte Saint-Vire lächelnd. «Sie sehen wir öfter, n'est-ce
pas?»
«Nicht so
oft wie ehemals», antwortete Merivale. «Meine Frau bringt dem Stadtleben keine
große Neigung entgegen.»
«Ah, nun
versteht man, warum Sie jetzt nicht lange auf Reisen verweilen, Merivale!»
Der Diener
meldete, daß aufgetragen sei, und man begab sich in den angrenzenden Raum. Der
Graf schüttelte seine Serviette aus.
«Sie leben
in einem überaus reizenden Land, Madame. Die Wälder hier sind herrlich.»
«Noch
schöner sind sie um Avon Court», versetzte Anthony. «Dort gibt es ein paar
prächtige Eichen.»
«Ach, Avon!
Ich hörte zu meinem Leidwesen, daß der Herzog nicht anwesend ist. Ich hatte
gehofft – doch es soll nicht sein.»
Erinnerungen
regten sich unbestimmt in Merivales Hirn. Hatte es nicht vor etlichen Jahren
einen Skandal gegeben?
«Nein, Avon
ist, glaube ich, in London. Lord Rupert wohnt bei uns – er befindet sich jetzt
auf dem Gut und speist mit Madam Field und Mademoiselle de Bonnard, dem Mündel
des Herzogs.»
Saint-Vires
Hand erbebte leicht um den Griff des Weinglases. «Mademoiselle de ...?»
«Bonnard.
Sie wußten doch, daß Avon eine Tochter adoptiert hat?»
«Ich hörte ein Gerücht»,
sagte der Graf langsam. «Sie ist also hier?»
«Nur vorübergehend. Ich glaube,
sie soll bald in die Gesellschaft eingeführt
werden.»
«Vraiment?» Der Graf nippte an
seinem Wein. «Zweifellos ist sie hier ennuyée.»
«Ich
glaube, sie fühlt sich recht wohl», erwiderte Merivale. «Es gibt in Avon
vieles, das ihr Vergnügen macht. Sie und dieser Tunichtgut von einem Rupert
spielen miteinander Verstecken in den Wäldern. Ein richtiges Paar Kinder!»
«Ach?»
Saint-Vire neigte leicht den Kopf. «Und der Herzog befindet sich, wie Sie
sagten, in London?»
«Ich kann
es nicht mit Sicherheit sagen. Niemand weiß, wo er im nächsten Augenblick
auftauchen wird. Ich glaube, Léonie erwartet ihn täglich.»
«Ich
bedaure sehr, ihn verfehlt zu haben», wiederholte Saint-Vire mechanisch.
Nach dem
Dinner spielten er und Merivale miteinander Piquet; bald danach schlenderte
Rupert herein, blieb jedoch angesichts des Gastes wie angewurzelt auf der
Schwelle stehen.
«Donn –
Ergebenster Diener, Comte», sagte er steif und stelzte zu Jennifer hinüber.
«Was hat der Kerl hier verloren?» knurrte er in ihr Ohr.
Sie legte
einen Finger auf die Lippen.
«Der Graf
sagte eben, er bedaure, Ihren – Ihren Bruder verfehlt zu haben, Rupert», sagte
sie laut und vernehmlich.
Rupert
starrte Saint-Vire an.
«Wie? O ja,
richtig! Mein Bruder wird trostlos sein, versichere ich Ihnen, Sir. Kamen Sie,
um ihm einen Besuch abzustatten?»
Ein Muskel
erbebte neben des Grafen hartem Mund.
«Nein,
Milor'. Ich unternehme eine Reise zu Freunden. Ich glaubte Monsieur
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