Gerade noch ein Patt
eine Sammlung derart zerlumpter Fetzen, daß Andy nicht sicher war, wie viele Schichten der Mann trug, geschweige denn, um was für Kleidungsstücke es sich einst gehandelt hatte. Er war mit Knochenstücken, grauen und schwarzen Federn und kleinen funkelnden Dingern behangen, die alle mit Schnüren und Kordeln zusammengebunden waren. Manche hingen ihm sogar in seinen fettigen Dread-locks. Fetische, erkannte Andy. Die Knochen klapperten, als er hektisch mit den Armen wedelte, um seinen mißlungenen Versuch, Andy auszurauben, von sich zu weisen.
»Tu mir nichts, tu mir nichts«, quiekte er.
Er nahm Andy damit die Worte aus dem Mund. Er schwieg in dem Versuch, seine eigene Angst unter Kontrolle zu bekommen. Wenn es nicht zu Gewalttätigkeiten kam, konnte ihm das nur recht sein - schließlich war er weder bewaffnet, noch sonderlich auf eine Auseinandersetzung vorbereitet. Sein Kopf tat weh, aber das dröhnende Summen schien ein Fehler in der Rück-koppelungsschleife zu sein, die seinen Cyberaugen vorgeschaltet war. Seine Headware war zwar nicht kurzgeschlossen, aber was Cybermodifikationen anbelangte, war Headware im Kampf nicht besonders nützlich, ob funktionstüchtig oder nicht. Selbst mit Kampf-Cyber-ware hätte Andy nicht gewußt, wie er sie benutzen sollte. Also beobachtete er die Straßenratte, die ihn beobachtete, und fragte sich, was er tun würde, wenn der schmuddelige kleine Mann beschloß, ihn trotzdem anzugreifen. Es war möglich. Die Knopfaugen des Mannes waren auf Andy gerichtet, und unter dem Schmutz des Obdachlosen-Lebens spiegelte sich eine unübersehbare Gier in seiner Miene wider.
»Du bist irgendwie verdreht worden«, sagte die Straßenratte.
Verdreht war höchstens dieser Haufen Abschaum.
»Ein Schatten liegt auf dir«, sagte die Straßenratte. »Ja, ein Schatten. Der deinen Verstand verdunkelt. Ein merkwürdiger Zauber, den ich nicht kenne, und stark ist er. Aber auch harmonisch. Vielleicht von einem Schamanen, aber von einem, den ich nicht kenne.«
Zauber? Schamane? Konnten die Talismane der Straßenratte echt sein? Wenn der dünne kleine Mann ein echter Schamane war, stand Andy auf verlorenem Posten. Wem wollte er etwas vormachen? Andy stand auf verlorenem Posten, egal, was die Straßenratte war.
»Wer könnte es gewesen sein?« fragte der Möglicher-weise-Schamane. »Wer, wer? Wer hat dir das angetan?«
Andy wurde klar, daß er es nicht wußte. Ihm fiel weder ein Name noch ein Gesicht ein, als er darüber nachdachte. Vage, aber eben nur vage, erinnerte sich, daß es sich um eine Frau gehandelt haben mußte. An den lieblichen Klang ihrer Stimme erinnerte er sich noch am deutlichsten, aber er wußte nicht mehr, was sie gesagt hatte. Immerhin wußte er noch, daß sie bei ihm im Telestrian-Ost-Komplex gewesen war und nicht dorthin gehörte. Weder sie noch ihre Freunde gehörten dorthin.
Ihre Freunde? Es waren noch andere bei ihr gewesen, aber er konnte sich weder an Gesichter noch an Namen erinnern. Shadowrunner. Er war nicht einmal mehr sicher, wie viele es gewesen waren. Es ängstigte ihn, daß er sich nicht mehr erinnern konnte. Was hatten sie seinem Verstand sonst noch angetan? Er war sicher, daß sie ihm etwas weggenommen hatten. Er erinnerte sich an eine Maschine und an einen Troll. Oder war es ein Ork? Jemand hatte etwas in seinen Kopf gestöpselt.
»Wanderst im Körper und im Geiste herum. Bist weit weg von deinem Revier.« Während Andys Gedanken herumgewandert waren, war die Straßenratte näher gekommen. Schmierige Finger zupften an Andys Revers und zogen an seiner Konzernzugehörigkeits-Ansteck-nadel. »Du hast dich verirrt, ja?«
Andy fühlte sich so, aber irgendwie kam es ihm nicht sicher vor, das vor diesem verkommenen Exemplar des Straßenlebens zuzugeben, Schamane oder nicht. Es würde nicht schwer sein herauszufinden, wo die Sha-dowrunner ihn abgeladen hatten. Er brauchte nur ein Telekom zu finden. Und geistig? Das hing davon ab, was die Zauberin ihm angetan hatte. Was so viel nicht zu sein schien. Er konnte sich nur nicht mehr an Einzelheiten in bezug auf die Shadowrunner erinnern. War das so schlimm?
»Jetzt verirrt, aber nicht für immer«, sagte die Straßenratte. »Mit anderen wirst du in den Schatten laufen. Blutbande und Magie. Starker Magier bei dir. Könnte sein, du bist denen begegnet, denen du begegnen solltest. Vielleicht, ist dies ein guter Morgen, wenn auch ein hungriger.«
Verrückte Worte. Wieviel wußte dieser unheimliche Kerl? Hatte er gesehen, wie
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