Geräusch einer Schnecke beim Essen
Körpergrößen, Flügelformen und «Fahrgestellen». Es herrschte ein so reger Luftverkehr, dass mir mein Garten vorkam wie eine Miniaturversion des New Yorker Flughafens La Guardia. Wenn man bedachte, wie viele unterschiedliche Tierarten hier wild durcheinandersausten, war es ein Wunder, dass es nicht ständig zu Zusammenstößen kam.
Von meinem Platz am Fenster verfolgte ich das Kommen und Gehen meiner Nachbarn; auch sie gehörten zum Rhythmus meiner vertrauten ländlichen Landschaft. Sie fuhren weg, um zu arbeiten oder Besorgungen zu machen, kamen wieder, führten ihre Hunde aus, hackten Holz und schauten in ihrem Briefkasten an der Straße nach Post. Im abendlichen Zwielicht sah ich vielleicht aus dem Augenwinkel einen Ziegenmelker in geringer Höhe übers Feld flitzen, und mit Einbruch der Dunkelheit begannen die Geheimcodes von Glühwürmchen auf Partnersuche aufzufunkeln. Später stießen Fledermäuse – bloße Schemen, schwarz auf schwarz – nach abendlichen Leckerbissen herab, und aus dem Wald drangen leise, ganz leise, die Rufe der Eulen, bis schließlich unter dem uralten Licht der fernen Sterne und des zu- oder abnehmenden Mondes völlige Stille herrschte.
20 . Winterschnecke
Versiegelt die Tür
Und sinkt dann in tiefen Schlaf
Die kleine Schnecke.
Kobayashi Issa ( 1763 – 1827 )
Die Monate verstrichen, und Blätter in flammenden Rot- und Orangetönen segelten an meinem Fenster vorbei, taumelten durch die Luft, wurden verweht. Ich hatte mich zu Hause gut eingelebt, so dass der eine übrig gebliebene Nachfahre meiner Schnecke kommen konnte, um mir Gesellschaft zu leisten. Als Terrarium diente diesmal eine riesige antike Glasschüssel mit einem Umfang von hundertzwanzig Zentimetern – eine wunderschöne sphärische grüne Welt. Die junge Schnecke maß ungefähr ein Drittel der Größe einer Eichel. Sie schlief tagsüber oft in einem hohlen, modernden Birkenast, einem dunklen und feuchten, somit idealen Versteck. Gelegentlich schaute ich mit einer Taschenlampe nach ihr.
Die Tage wurden kürzer, und bald zeichnete der Schnee seine abstrakten, weißen Muster in die ruhige Winterluft. Ich sah zu, wie die Schneeflocken im Spiel des Windes von einem Moment zum anderen ihre Größe und Form veränderten. Sie stürzten herab, wurden von einem Aufwind wieder emporgewirbelt, tanzten durch die Luft, sanken erneut herunter und vereinten sich mit dem älteren, rings ums Haus aufgetürmten Schnee. Ab und zu verschluckte ein tosender Blizzard den dunkelgrünen Fichtenwald und hinterließ eine noch dickere Schneeschicht.
Unter dieser weißen Decke hielten Schnecken in ihren lauschigen Höhlen Winterschlaf. Träumten sie dabei und falls ja, bestanden diese Träume ausschließlich aus Geruchs-, Geschmacks- und Tastwahrnehmungen? Oder war es ein tieferer Schlaf, jenseits von Denken und Erinnerung?
Im Innern meines Hauses herrschten ganz andere Witterungsverhältnisse als draußen. Durch den Ölofen war die Luft warm und trocken. Statt sich eine Höhle zu graben und Winterschlaf zu halten, begab sich meine junge Schnecke wochenweise in die Sommerruhe; dazu zog sie sich entweder in den hohlen Birkenast zurück, oder sie hängte sich kopfüber an die Unterseite eines Farnwedels. Wenn sie aufwachte, fraß sie etwas Champignon und Erde, trank Wasser und raspelte an der Innenseite der Muschel, um sich mit Mineralstoffen zu versorgen. Dann verkroch sie sich wieder in der dunklen Höhlung des Birkenasts oder kletterte an einem Farnwedel hoch, um erneut Sommerschlaf zu halten.
Das Verhältnis von Geschwindigkeit sowie Raum und Zeit im Leben der Schnecken hatte etwas Paradoxes, was mich zunehmend faszinierte: Im Vergleich zu ihrer langsamen Fortbewegung war ein Lebenszyklus bei ihnen schnell vollendet. Eine Schnecke konnte in siebzig Jahren siebzig Generationen hervorbringen, der Mensch hingegen nur drei. Obwohl sich die Schnecke langsamer als der Mensch durch die reale Welt bewegte, war sie auf ihrem Weg als sich entwickelnde Spezies schneller.
Der kurze Lebenszyklus der Schnecken machte mich auf ein ähnliches Paradox in der Menschenwelt aufmerksam: Während sich einige Bereiche der Gesellschaft – Technologie und Kommunikation zum Beispiel – immer schneller fortentwickelten, ging es in anderen Bereichen wie etwa der medizinischen Versorgung nicht einmal im Schneckentempo voran. Innerhalb eines Zeitraums von mehreren Monaten, in dem ich auf Termine wartete, verschiedentlich untersucht wurde und neue Therapien
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