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Geräusch einer Schnecke beim Essen

Geräusch einer Schnecke beim Essen

Titel: Geräusch einer Schnecke beim Essen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Tova Bailey
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und Balken, die den Raum um mich herum einfassten, an den Wänden die von Freunden und Verwandten gemalten Bilder, bunt und voller Leben, und neben meinem Bett das Fenster mit Blick in die Natur.
    Manchmal schrak ich mitten in der Nacht aus dem Schlaf, weil es irgendwo über mir einen unerklärlichen Schlag getan hatte, doch ich empfand nur liebevolle Belustigung angesichts der Eskapaden des seit Jahrhunderten hier ansässigen Gespenstes. Die Eigenheiten meines Hauses waren mir vertraut, und das erleichterte den Übergang; schwieriger war es, mit weniger Hilfe auszukommen.
    Mir fehlte die Gesellschaft meiner Schnecke, aber es war an der Zeit, sie in ihren Wald zurückzubringen. Ich hoffte, bis zum Herbst so weit zu sein, dass ich ihren einen noch verbleibenden Nachkommen über den Winter zu mir nehmen konnte.
    Die Schnecken mit der längsten Lebenszeit finden sich oft in den Gegenden mit dem rausten Klima. Angesichts der harten Winter Neuenglands hatte meine Schnecke wahrscheinlich noch einige Jahre vor sich, die weitere ausgedehnte Liebesspiele und noch mehrere Generationen von Nachkommen mit sich bringen würden. Nach dem geschützten Leben im Terrarium würde sich meine Schnecke wieder an die Unwägbarkeiten des Waldlebens gewöhnen müssen, an die gefährlichen Räuber und die unberechenbare Witterung. Doch mit Hilfe ihrer diversen Verteidigungsmechanismen und ihrer Fähigkeit zum Ruhezustand hatte sie sich früher ja bereits gut durchgeschlagen, und ich war mir sicher, dass ihr das auch jetzt wieder gelingen würde.
    Ich wäre nur zu gern bei der Freilassung der Schnecke dabeigewesen, war aber zu weit weg, nun da ich wieder zu Hause wohnte. Meine frühere Pflegerin schrieb mir, sie habe den einen verbleibenden Nachkommen im Terrarium gelassen und meine Schnecke in den Wald zu der Stelle getragen, wo meine Freundin sie damals aufgehoben hatte:
     
    An einem nebligen Tag brachte ich die Schnecke in den Wald. Ich setzte sie auf einen Waldchampignon unter einer alten Eiche. Die Schnecke wurde neugierig. Sie kroch ein Stückchen aus ihrem Gehäuse hervor, reckte den Kopf über den Abgrund und streckte den Körper dann langsam nach unten, bis sie den Boden erreichte, wobei das Ende ihres Kriechfußes weiterhin auf dem Pilzhut lag. Mit einer eleganten Bewegung zog sie Gehäuse und Fuß auf den Boden und kroch dann zielstrebig mit nach vorne gerichteten Fühlern über Blätter und Zweige auf einen heruntergefallenen Eichenast zu, um dort Schutz zu suchen.
     
    Die Schnecke und ich waren gemeinsam in Gefangenschaft gewesen, und jetzt waren wir beide wieder in unser natürliches Habitat zurückgekehrt. Wie die Schnecke wohl in ihrem heimischen Wald zurechtkam, während ich mir das Leben in den paar Zimmern meines Hauses lebenswert zu gestalten versuchte? Ich war jetzt zwar zu Hause, doch ich war immer noch nicht frei von den Beschränkungen meiner Krankheit. Ich dachte daran, wie die Schnecke in dem begrenzten Raum des Terrariums gefressen, ihre Streifzüge unternommen, einen Lebenszyklus vollendet und dabei durchaus zufrieden gewirkt hatte. Das machte mir Hoffnung, dass auch ich vielleicht noch Träume verwirklichen konnte, selbst wenn es nicht mehr die alten waren.
    Wieder daheim zu sein war – abgesehen von einer Heilung – das Beste, was mir passieren konnte, und mochte ich auch körperlich noch stark eingeschränkt sein, so war ich zumindest nicht mehr permanent ans Bett gefesselt. Ab und zu konnte ich kurze, aber befriedigende Ausflüge im Haus unternehmen. So holte ich mir etwa am späten Vormittag einige ein paar Meter entfernt liegende Unterlagen, und am späten Nachmittag ging ich dann in einem Moment des Übermuts in die Küche, um mein Wasserglas wieder zu füllen. Es versetzte mich in Hochstimmung, diese kleinen Dinge tun zu können, auch wenn ich mit verstärkten Symptomen teuer dafür bezahlte.
    Durch das Fenster neben meinem Bett konnte ich das ständig sich wandelnde Wetter beobachten – das sanfte Wehen oder heftige Tosen des Windes, die unterschiedlichen Stimmungen des Regens, das Wechselspiel von Sonne, Mond und Wolken. Und der Garten rund um mein Bauernhaus war in der hochsommerlichen Hitze ein einziges Farbenmeer.
    Da war das emsige Treiben all der Kleinsttiere, die zwischen meinen Pflanzen umherflogen: Kolibris und Schmetterlinge, Motten, Wespen, Hummeln und zahllose andere Insekten. So viele unterschiedliche Flugmuster gab es und eine beeindruckende Vielfalt an Körperbautypen und

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