Geräusch einer Schnecke beim Essen
fortschreitendem Wachstum der kleinen Schnecken wurden auch ihre Gehäuse größer und weniger durchscheinend. Die einzelnen Gelege mussten im Abstand mehrerer Wochen erfolgt sein, denn die Jungen ließen sich leicht auseinanderhalten. Eines Abends kroch eine der jüngeren Schnecken hinter einem ihrer älteren Geschwister die Glaswand des Terrariums hinauf. Dann kletterte sie auf sein Gehäuse. Die ältere Schnecke drehte sich um und schaute die jüngere an, und die beiden wedelten einander heftig mit ihren Fühlernasen zu, doch es gelang der älteren nicht, die jüngere abzuschütteln. Ein Streit zwischen Geschwistern, so wie es aussah. Ich wollte mich eigentlich nicht einmischen, doch als es mir gelang, mich für einen Moment aufzusetzen, löste ich die kleinere Schnecke vom Gehäuse der größeren und setzte sie neben den Haufen zerdrückter Eierschalen. Dort futterte sie den restlichen Abend lang zufrieden vor sich hin, was mich auf den Gedanken brachte, dass sie sich vielleicht einfach wegen des Kalks auf das Gehäuse ihres Geschwisters gesetzt hatte.
Ich fragte mich, wie lange es wohl dauern würde, bis die kleinen Schnecken ausgewachsen waren. Bei dem Gedanken, mit hundert fruchtbaren Schnecken dazusitzen, wurde mir ganz anders – das galt es dann doch besser zu vermeiden. Highsmiths Erzählung Der Schneckenforscher beginnt mit einer ihrer typischen unheilvollen ersten Zeilen: «Als Peter Knoppert begann, die Beobachtung von Schnecken zu seinem Hobby zu machen, ahnte er nicht, dass aus seiner ersten Handvoll von Exemplaren in kürzester Zeit Hunderte werden würden.»
Während die Notdurft meiner ersten Schnecke kein Problem dargestellt hatte – ab und zu ein kleiner, säuberlicher Schnörkel auf der Muschel oder der Glaswand des Terrariums –, führten die Ausscheidungen so vieler, zumal so schnell wachsender Schnecken zu einem ziemlich sudeligen Gesamtbild.
Ich fragte mich, wie meine eigentlich doch eher einzelgängerische Schnecke mit dieser selbstverschuldeten Bevölkerungsexplosion zurechtkam. In der freien Natur fällt rund die Hälfte der Eier eines Geleges dem Wetter, Räubern oder bereits geschlüpften hungrigen Geschwistern zum Opfer, doch im Terrarium war das natürlich anders. Ich konnte nur raten, wie viele Jungschnecken es insgesamt waren, denn sie zu zählen war unmöglich; tagsüber versteckte sich jede woanders, und nachts waren sie alle zugleich unterwegs. Meine einzelne Schnecke zu beobachten, war ein friedlicher und beruhigender Zeitvertreib gewesen, doch zuzusehen, wie sich diese Unmengen von Nachkommen alle gleichzeitig bewegten, hatte eine geradezu hypnotische Wirkung. Ich musste mir eingestehen, dass es mich überwältigte.
Über mehrere Monate hinweg verbesserte sich mein Zustand allmählich – nicht so grundlegend, dass es von einem Tag auf den anderen oder auch von Woche zu Woche spürbar gewesen wäre, doch immerhin konnte ich jetzt mehrmals am Tag für ein paar Minuten auf einem Stuhl sitzen. Ich wollte versuchen, wieder zu Hause zu wohnen, auch wenn ich mir nicht sicher war, ob ich mit weniger Hilfe zurechtkommen würde. Es war eine gewaltige Herausforderung, weshalb ich beschloss, meine erste Schnecke und einen ihrer Nachkommen bei meiner Pflegerin zurückzulassen. Einige meiner Freunde, fasziniert und amüsiert von meinen begeisterten «Schneckenberichten», adoptierten ebenfalls bereitwillig Jungschnecken. Der Rest der zahlreichen Nachkommenschaft wurde dort ausgesetzt, wo die Mutter herstammte. Und bei dieser Gelegenheit wurde dann auch eine offizielle Zählung durchgeführt: Meine Schnecke hatte hundertachtzehn Nachkommen in die Welt gesetzt.
SECHSTER TEIL
Vertrautes Terrain
Der erste, entscheidende Schritt, um das eigene
Überleben zu sichern, ist bei allen Organismen
die Wahl des Lebensraums. Findet man den
richtigen Ort, ist alles andere einfacher.
Edward O. Wilson, Biophilia , 1984
19 . Befreit
Ja, kleine Schnecke
Besteige den Berg Fuji
Aber ganz langsam.
Kobayashi Issa ( 1763 – 1827 )
Im Hochsommer verlegte man mich mit meiner Hündin Brandy nach Hause. Es war schwer zu sagen, wer von uns beiden glücklicher darüber war. Ihr mit Zedernholzspänen gefülltes Hundebett stand an seinem gewohnten Platz im Wohnzimmer, wo die Morgensonne darauf schien. Von meinem eigenen Bett aus, das ebenfalls in diesem Zimmer stand, gab es so viel zu sehen, dass ich gar nicht wusste, wo ich zuerst hinschauen sollte. Da waren die dicken Pfosten
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