Gérards Heirat
Sonne überflutet; durch das Laub der jungen Weiden sah man in vollem Licht die Biegung einer Straße, ein Stückchen Wiese und eine Reihe Zitterpappeln. In der tiefen Stille dieser Einsamkeit vernahm man keinen Ton außer dem leisen Murmeln der Quelle und den sich mehr und mehr entfernenden Stimmen der Kinder.
Helene blieb mit dem Pinsel in der Hand, zerstreut sitzen, und ihr Antlitz, so geistvoll und fröhlich, wenn es sich belebte, trug in diesem Augenblick den Ausdruck einer düsteren Trauer. Während sie sich bemühte, Gérards Bild, das sie so beharrlich verfolgte, zu verscheuchen, dachte sie doch immer nur an ihn. Seitdem Gérard, den sie liebte, so schroff verabschiedet worden war, hatte sie sich selbst mehr als einen strengen Verweis erteilt. Hundertmal hatte sie sich geschworen, diese tollen vierzehn Tage zu vergessen und wieder vernünftig zu werden. Sie hatte sich gut wiederholen, daß Gérard zu jung und sein Vater viel zu stolz sei, als daß ihr Verhältnis zu einander je mehr als eine vorübergehende Liebelei werden könne, – das Bild ihres Nachbarn verließ sie nicht; im Gegenteil drängte es sich ihr alle Tage gebieterischer auf. In jener Ballnacht hatte Helene ihr Herz verschenkt, und sie fühlte, daß es ihr zu schwer würde, es wieder zurückzunehmen... Sie stieß einen leisen, halb unterdrückten Seufzer aus und schüttelte die langen blonden Locken; ihre trüben Augen glänzten plötzlich auf, wie das Wasser der Quelle neben ihr, und eine Thräne rollte über ihre Wange herab. Mit einer ungeduldigen Bewegung wischte sie sie ab, ergriff dann die Palette und machte sich entschlossen an die Arbeit.
Schon hatte sie auf der Leinwand die verschiedenen Töne des Laubes in ihrem harmonischen Zusammenwirken angedeutet, als ein Rascheln in den Zweigen sie veranlaßte, sich umzusehen. Sie stieß einen Schrei aus und erblaßte; Gérard stand vor ihr.
»Sind Sie mir böse, daß ich Sie überrascht habe?« flüsterte er.
Sie schüttelte den Kopf und ein Lächeln spielte um ihren Mund und erhellte die feuchten Augen. Der junge Mann trat einige Schritte naher und ließ sich zu ihren Füßen nieder. »Schelten Sie mich nicht,« bat er mit der Miene eines ertappten Schuljungen.
»Nein, ich schelte Sie nicht,« antwortete sie lächelnd; »wozu sollte ich es leugnen? Ich dachte an Sie.«
»Ist es wirklich wahr?«
»Ich war so traurig darüber, daß ich Sie neulich ohne ein Wort der Entschuldigung und des Trostes fortgehen ließ! ... Sie müssen meiner Mutter nicht darum zürnen; die Strafpredigt des Abbé Volland hatte sie sehr aufgeregt, aber im Grunde ist sie doch sehr gut, wenn auch die Zunge manchmal mit ihr durchgeht.«
»O,« sagte er entzückt, »ich bin ihr gar nicht böse ... Es schmerzte mich nur, daß ich dazu verdammt wurde, Sie nicht mehr zu sehen.«
»Da Sie mich jetzt gesehen haben, müssen Sie sich wieder aus dem Staube machen ... Was würde man sagen, wenn man Sie hier überraschte! Ich glaube, der Kirchturm würde vor Entsetzen umfallen und Herr von Seigneulles toll werden.«
»Wissen Sie, daß er mich auf die Meierei verbannt hat?« seufzte Gérard.
Helene mußte lachen ... »Auf trockenes Brot gesetzt! Welch ein Mann Ihr Vater ist! Ich fürchte mich vor ihm!«
Gérard schwieg und rührte sich nicht. Das junge Mädchen wandte den Kopf halb nach dem Platz, auf dem er kniete.
»Gehen Sie,« sagte sie, ihm die Hand bietend, »leben Sie wohl!«
Er drückte Helenens Hand und hielt sie in der seinen fest. Sie blickten sich einen Augenblick an, dann zogsie rasch ihre Hand zurück. »Gehen Sie!« wiederholte sie mit einer weniger sicheren Stimme.
»Noch nicht,« bat er, »lassen Sie mich erst noch sagen, wie sehr ich Sie liebe!«
Helenens Augen blickten ernst und senkten sich tief in die blauen Augen Gérards. »Nun ist es an mir, Sie zu fragen: Ist es wirklich wahr?« flüsterte sie. Als Gérard Einsprache thun wollte, legte sie sanft die Hand auf seinen Arm und fuhr fort: »Hören Sie mich an; ich bin nicht wie die jungen Mädchen von Juvigny; ich habe nicht von Jugend auf gelernt, meine Worte auf die Goldwage zu legen und zu prüfen, ob sie auch allen Regeln des Anstandes entsprechen. Ich spreche, wie ich denke, und handle, wie ich spreche: aufrichtig und wie mein eigenes Gefühl es mir eingibt. Sind Sie von Grund Ihres Herzens überzeugt, daß Sie mich wahr und aufrichtig lieben? Ich werde es glauben, wenn Sie es wiederholen, aber sagen Sie es nicht leichthin noch einmal. Wenn Sie
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