Gérards Heirat
gekommen. Mit dem September und den Ferien kehrte auch ein Vergnügen wieder, für das die Bewohner Juvignys ganz besonders viel Sinn haben: die Vogelstellerei. In jener waldreichen Gegend gibt es nicht einen Waldbesitzer, der nicht aus feinen, biegsamen Haselstauden zwei- bis dreihundert Sprenkel angefertigt und diese an den Fußwegen seines Gehölzes gestellt hätte. In diesen Fallen fangen sich eine Menge Rotkehlchen, Grasmücken, Finken und Ammern, und die Landeskinder finden eine grausame Freude daran, jeden Morgen die Runde zu machen und die Opfer zu sammeln. Sogar Damen beteiligen sich dabei. Für sie ist dieser Vogelfang ein Vorwand zu Picknicks und Tänzereien im Freien.
So begab es sich denn auch, daß gegen Ende September ein Holzhändler, mit dessen Söhnen Marius bekannt war, die Ferien benutzte, um eine Jagd zu veranstalten, die mit einem guten Frühstück im Walde endigen sollte. Um das Fest zu verschönern, sollten einige Damen ihre Männer begleiten, darunter auch Frau Grandfief, deren sanfter Gatte ein gewaltiger Nimrod war. Natürlich befand sich auch Marius unter den Eingeladenen; man hatte ihn um seiner Lebhaftigkeit und seiner übersprudelnden Fröhlichkeit willen gerne. Er galt trotz seines überspannten Wesens und seines Hanges, beim Nachtisch seine Sonette vorzutragen, für einen angenehmen Gesellschafter und wurde zu allen Lustbarkeiten geladen.
An jenem Tage war man schon in der Morgendämmerung aufgebrochen; vier Stunden lang hatte man die Brachen abgetrieben und der Dichter erfreute sich eines beträchtlichen Appetits, als die Gesellschaft gegen zehn Uhr unter den Bäumen anlangte, in deren Schatten die lange Tafel gedeckt worden war. Marius saß Frau Grandfief gegenüber, Georginens Mutter war allein gekommen, da sie die keuschen Ohren ihrer Tochter den etwas derben Scherzen eines Jagdfrühstückesnicht aussetzen wollte. Sie dankte mit einer kalten Kopfbewegung für Marius' Gruß und nahm eine so majestätische Miene an, daß sich der junge Laheyrard beeilte, diesem hochmütigen Blick, der ihm den Appetit verdarb, auszuweichen. Seine Augen hielten sich schadlos an dem erfreulichen Anblick, den die Tafel gewährte, auf der sich eine appetitliche Sammlung von kleinen Schinken, Pasteten und Krebsen zwischen zwei Reihen von Gläsern und Flaschen ausbreitete. Als man die am Spieß gebratene Hammelkeule herumbot, erschloß sich das Herz des Dichters. Er hatte als Nachbarn zwei auf dem Lande wohnende Jäger von ziemlich einfältigem Aussehen und offenem Wesen.
Die anscheinende Harmlosigkeit dieser friedlichen Bürger verlockte Marius und er beschloß, sich das Frühstück dadurch zu erheitern, daß er die biederen Philister zum besten habe. Sobald er ein schönes, saftiges Stück auf seinem Teller hatte, entkorkte er eine vor ihm stehende Flasche und füllte die Gläser seiner Nachbarn nebst dem seinen.
»Wir wollen diesen blaßroten Wein einmal versuchen,« rief er, »ich habe, wie Sankt Amandus sagt, einen so brennenden Durst, daß nichts ihn zu löschen vermag,
Salz hat's geregnet zur Stund',
als das Licht der Welt ich erblickte!«
»Trauen Sie unserem gewöhnlichen Landwein nicht,« sagte sein Nachbar zur Rechten, »er sieht harmlos aus, ist aber gefährlich und steigt leicht zu Kopfe.«
»Gefährlich? Diese unschuldige Milch! Mag sein – für andere!« entgegnete Marius, sein Glas leerend; »Sie müssen wissen, lieber Herr, daß das Blut der Rebe überhaupt die Klarheit meines Kopfes nicht zu stören vermag. Um mich trunken zu machen, braucht man das Opium der Chinesen, das Haschisch der Inder und das Raki der Polynesier.«
»Das ist etwas anders!« sagte sein Nachbar mit jenem albernen Lachen, hinter dem der Landmann aus der Meuse seine Kniffe und Tücken versteckt. Zugleich winkte er hinterMarius' Rücken dessen Nachbarn zur Linken bedeutungsvoll mit dem Auge.
Der Dichter scherzte weiter, während er den Hammelbraten verschlang und reichlich dazu trank.
»Sehen Sie,« fuhr er fort, »zwei oder drei Gläser Wein können gesetzte Leute, die an langweilige Geschäfte gewöhnt sind, aus dem Gleichgewicht bringen, aber wir Künstler, die wir an Gedankenstürme gewöhnt sind, können mehr vertragen. Wir segeln wie der Albatros durch den Sturm!«
»Das heißt,« spottete sein Nachbar, »ihr lebt im Wein wie der Fisch im Wasser!«
»Gut gesprochen, biederer Tischgenosse!« rief Marius, »zur Strafe schenken Sie mir ein ... Kecklich bis zum Rand. Und nun auf Ihr Wohl!«
Das laute
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